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Judentum und Israel
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Zionismus oder der Kampf um die nationale Wiedergeburt

Von Julius H. Schoeps

[aus: Zionismus. Texte zu seiner Entwicklung, Dreieich, Wiesbaden 1983, hrsg. v. Julius H. Schoeps]

Theodor Herzl und der Judenstaat

Mit seiner unter dem Eindruck der Dreyfus-Affäre 1895 niedergeschriebenen Broschüre "Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage" schuf der weithin unbekannte Journalist Theodor Herzl die Programmschrift der zionistischen Bewegung. Ohne die Anschauungen von Hess, Pinsker und anderen zu kennen,[12] gelangte Herzl in dieser Schrift ebenfalls zu der Überzeugung, dass eine Lösung des Judenproblems nur in der Wiedergewinnung der inneren und äußeren Freiheit für die Juden und das Judentum bestehen könne. Und wie manche seiner Vorgänger betrachtet Herzl die Judenfeindschaft nicht etwa als ein voremanzipatorisches Relikt, das sich allmählich auflösen würde, sondern vielmehr als eine direkte Folge der Emanzipation. Das bedeutete nicht mehr und nicht weniger als die Feststellung, dass die Emanzipation als Integrationsmaßnahme versagt habe und das Streben der Juden nach Assimilation an ihre nichtjüdisches Umwelt ein zum Scheitern verurteilter Irrweg sei. Herzl war denn auch der Auffassung, die "Judenfrage" könne nur durch die Konzentration eines möglichst großen Teils der Juden in einem eigenen Lande gelöst werden. Es ist bezeichnend, dass Herzl - völlig dem Zeitgeist entsprechend - die "Judenfrage" vorrangig als ein nationales Problem ansah. "Ich halte die Judenfrage", so schrieb er in seiner Broschüre, "weder für eine soziale noch eine religiöse, wenn sie sich auch so und anders färbt. Sie ist eine nationale Frage. [...] Wir sind ein Volk, ein Volk." [13] Noch deutlicher wird diese Einstellung Herzls in einem Aufsatz, den er 1899 in der "North American Review" unter dem Titel "Zionismus" veröffentlichte, wo er auf die Frage einging, welche Kriterien seiner Meinung nach eine Nation ausmachten. Unbekümmert aller Überlieferungen und historischen Erkenntnisse kommt er hier zu dem Schluss, eine Nation sei "eine historische Menschengruppe von erkennbarer Zusammengehörigkeit, die durch einen gemeinsamen Feind zusammengehalten wird." [14]

Ganz ohne Zweifel ist Herzl, beeinflusst von den Staatstheorien Machiavellis und Hegels, dem nationalstaatlichen Denken des 19. Jahrhunderts weit mehr verhaftet als den traditionell-religiösen Überlieferungen des Judentums. In seinem "Judenstaat" ist kaum eine Andeutung auf den religiösen Zionsgedanken zu finden, was vor allem daran deutlich wird, dass es Herzl prinzipiell gleichgültig ist, wo der zu gründende Staat liegen soll. Er wäre bereit gewesen, die Juden in Ostafrika oder Südamerika zu sammeln, falls die dortigen "geologischen, klimatischen, kurz [...] natürlichen Verhältnisse aller Art" [15] ein Siedlungswerk großen Stils zuließen. Mit anderen Worten, ohne auf ein spezifisches Territorium fixiert zu sein, kam es Herzl darauf an, vorrangig zwei große Aufgaben zu lösen: 1. die Vorbereitung des Judenstaates von innen her durch Schaffung politischer Organe, 2. seine Konstituierung durch Erwerb von Land und 3. seine Sicherung durch die Zustimmung der Mächte. Wenn Herzl auch auf die Prinzipien sozialer Gerechtigkeit, Toleranz und völkerverbindender Humanität in seinem zu errichtenden "Judenstaat" hinwies, so war ihm doch mehr, daran kann kein Zweifel bestehen, an der politischen Technik der Staatsgründung gelegen. Mehr als die Hälfte von Herzls Schrift setzt sich mit der praktischen Durchführung auseinander, insbesondere mit der Schaffung der wirtschaftlichen und sozialen Voraussetzungen, die seinem utopischen Projekt das Gepräge eines hochzivilisierten und industrialisierten Musterstaates geben sollten.

Wie zu erwarten, war die Zustimmung zu Herzls "Judenstaat" ebenso spontan, wie die Ablehnung heftig war. Überall entstanden Gruppen, die eine rege Agitation entwickelten. Eine Reihe angesehener Rabbiner, allen voran Samuel Mohilever, bekannten sich zu dem von Herzl proklamierten Zionismus, indem sie sich ausdrücklich auf die messianischen Verheißungen bezogen. Max Bodenheimer und Isaak Rülf traten mit einer Erklärung der "Nationaljüdischen Vereinigung für Deutschland" an die Öffentlichkeit, in der unter Verweisung auf Hirsch Kalischers "Drischat Zion" der Behauptung entgegengetreten wurde, die zionistischen Bestrebungen würden den messianischen Verheißungen Widersprechen. Dies war notwendig geworden, weil vor allem viele strenggläubige Herzl als Ketzer anfeindeten. Ihrer Auffassung nach lehnte sich Herzl gegen das "göttliche Schicksal des Exils" auf und, so wurde ihm vorgeworfen, "usurpiere die Rolle des Messias", anstatt demütig und ergeben der Ankunft des Messias zu harren, der das jüdische Volk erlösen und das neue Reich aufrichten würde. Herzls Analyse der "Judenfrage" stand aber auch, wovon noch näher zu sprechen sein wird, in diametralem Gegensatz zu der Überzeugung vieler assimilierter Juden, die den Antisemitismus für eine "heilbare Krankheit" und die Wiederherstellung eines jüdischen Staatsvolkes weder für möglich noch für notwendig hielten.

Trotz aller Angriffe gelang es dem diplomatischen und propagandistischen Geschick Herzls in einer erstaunlich kurzen Zeit, die Zionsfreunde aller Länder zu einer internationalen gegliederten Organisation zusammenzufassen. Dass er die verschiedensten politischen, sozialen und religiösen Richtungen für die Mitarbeit in dieser Organisation gewinnen konnte, ist sicherlich nicht zuletzt der Tatsache zuzuschreiben, wie sie auch Adolf Böhm gedeutet hat, dass er die religiöse und geistig-kulturelle Komponente der Judenfrage ausklammerte und sie zu einer nationalen vereinfachte.[16] Nur so ist zu erklären, warum auf dem ersten von Herzl einberufenen Kongress 1897 in Basel, der von gewählten Delegierten beschickt worden war,[17] ein für die Zukunft richtungsweisendes Programm verabschiedet werden konnte. Die Formel "Der Zionismus erstrebt für das jüdische Volk die Schaffung einer öffentlich-rechtlich gesicherten Heimstätte in Palästina", auf die sich die Delegierten schließlich einigen konnten, entsprach den Vorstellungen Herzls, der den Kongress eingeleitet hatte mit dem Satz: "Wir wollen den Grundstein legen zu dem Haus, das dereinst die jüdische Nation beherbergen wird." [18] Unter dem Eindruck des Erfolges schreibt Herzl wenige Tage später: "Fasse ich den Baseler Kongress in einem Wort zusammen - das ich mich hüten werde, öffentlich auszusprechen -, so ist es dieses: in Basel habe ich den Judenstaat gegründet. Wenn ich das heute laut sagte, würde mir ein universelles Gelächter antworten. Vielleicht in 5 Jahren, jedenfalls in 50 wird es jeder einsehen. Der Staat ist wesentlich im Staatswillen des Volkes, ja selbst eine genügend mächtigen Einzelnen (L'Etat c'est moi, Ludwig XIV.) begründet. Territorium ist nur die konkrete Unterlage, der Staat ist, selbst wo er Territorium hat, immer etwas Abstraktes." [19]

Angesichts der Konkreten Aufgaben waren zwar grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten zwischen den Delegierten des Baseler Kongresses in den Hintergrund getreten, aber sie waren keineswegs ausgeräumt. Herzl hatte es zwar verstanden, die nationaljüdische Bewegung zu einer alle weltanschaulichen Gegensätze vereinigenden Weltorganisationen zu formen, deren moralische Bedeutung darin bestand, dass sie von den Mächten politisch akzeptiert wurde. Aber es gab auch andere Gruppierungen innerhalb der Organisation, die lautstark die Überzeugung vertraten, die Judenfrage sei weniger ein soziales und politisches als ein geistig-kulturelles Problem. So trat auf den auf Basel folgenden Kongressen eine "Fraktion" um Chaim Weizmann und Martin Buber auf, die eine geistige und kulturelle Renaissance des Judentums in die Wege geleitet wissen wollten. "Eine Erziehung des Volkes" also, wie es Martin Buber formuliert hat, "eine revolutionäre, von Grund auf aufwühlende Erziehung zur Freiheit, mit uns selbst beginnend und beim letzten Lumpenproletarier endend, soll die zionistische Propaganda werden." [20] Den Widerstand der Delegierten fasste Max Nordau in Worte, wenn er diese Forderungen als leeres Gerede abtat, "solange die Voraussetzungen einer gründlichen, allseitigen Volksbildung fehlt, nämlich Geld." [21] Die Kontroverse, die sich hier zwischen den Delegierten auftat, macht deutlich, dass die Judenfrage, vor allem unter den Jüngeren, zu einer Lebens- und Gewissensfrage geworden war. Zionismus war für sie nicht mehr eine politische, sondern eine weltanschauliche Angelegenheit, die "Antwort auf unser Persönlichkeitsproblem." [22] Zwangsläufig mussten sie deshalb den pragmatischen Ansatz Herzls und seiner Anhänger kritisieren, als "vulgär und im Grunde ebenso bequem wie die übliche Philanthropie." [23]

Führend Gestalten dieser jüdischen Erneuerungsbewegung, die auch "Kulturzionismus" genannt wird, waren Achad Haam ("Einer aus dem Volk") und Martin Buber. Achad Haam, der mit bürgerlichem Namen Asher Ginzberg hieß, soll sich angeblich auf dem Baseler Kongress als ein "Trauernder in einer Hochzeitsgesellschaft" gefühlt haben. Das mag durchaus stimmen, da ihm nicht so sehr die Lösung der Judenfrage als primäre Aufgabe erschien, sondern wichtiger als dies ihm die Verinnerlichung und Belebung jüdischen Geistes und jüdischer Kultur war. Mit anderen Worten: Er erstrebte nicht ausdrücklich einen jüdischen Staat und eine Masseneinwanderung nach Palästina, sondern dieses Land sollte lediglich für die Juden ein Kultur- und Geisteszentrum sein (vgl. S. 95 ff.). Ähnlich wie Achad Haam argumentierte auch Buber, dessen Anschauungen, wenn auch sehr viel radikaler als diejenigen Achad Haams, auf einen neuchassidischen oder neumystischen Kulturzionismus hinausliefen (vgl. S. 106 ff.).

Mit ihrer scharfsinnigen Kritik an der offiziellen zionistischen Politik, die Achad Haam und Martin Buber immer wieder äußerten, ist es ihnen gelungen, die Entwicklung der zionistischen Bewegung in vielschichtiger Weise zu befruchten, wenn auch ihre Versuchen, den Zionismus auf religiöse, dem jüdischen Messianismus bzw. Chassidismus entsprechende Bahnen zu lenken, vergeblich blieben. Selbst wenn diese "kulturzionistischen" Einflüsse nur bedingt zum Tragen kamen, so ist doch die eingeleitete Kontroverse mehr als nur eine Episode in der Geschichte der zionistischen Bewegung, "prallten hier doch", wie es Hermann Meier-Cronemeyer zum Ausdruck gebracht hat, "Anschauungen aufeinander, die bis heute im Ringen um das Selbstverständnis des Zionismus relevant geblieben sind." [24]

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Anmerkungen:
[12] Wie aus einer Tagebucheintragung Herzls vom 12. Februar 1896 zu ersehen ist, hatte er Pinskers "Autoemanzipation" erst fünf Tage vor dem Erscheinen seiner eigenen Broschüre gelesen. Er notierte dazu. "Verblüffende Übereinstimmung im kritischen, große Ähnlichkeit in konstruktiven Teil. Schade, dass ich die Schrift nicht vor der Imprimatur gelesen habe. Und doch wieder gut, dass ich sie nicht kannte - ich hätte mein Werk vielleicht unterlassen." Aus Tagebucheintragungen vom 2.Mai 1901 ist zu ersehen, dass er die Schrift von Moses Hess erstmalig 1898 auf einer Bahnfahrt nach Jerusalem gelesen hat (Theodor Herzl, Gesammelte Zionistische Werke, Band 2, Tel Aviv 1934, S. 344 und Band 3. S. 599).
[13] Theodor Herzl, Bd. I, S. 25 f.
[14] Theodor Herz, Bd. I S. 372.
[15] Tagebucheintragung von Herzl vom 13. Juni 1895 (Theodor Herzl, Bd. I, S.149)
[16] Vgl. Adolf Böhm, Die Zionistische Bewegung, Bd. 2, Tel Aviv 1935.
[17] Über die Motivationen der Delegierten informierte die vom Berliner Büro der zionistischen Organisation herausgegebenen Sammelschrift: Warum gingen wir zum ersten Zionistenkongress?, Berlin 1922.
[18] Stenographisches Protokoll der Verhandlungen des 2. Zionistenkongresses, Prag 1911, S. 15.
[19] Tagebucheintragung vom 3. September 1897 (Theodor Herzl, Bd. 2, S. 24).
[20] Martin Buber, Das jüdische Kulturproblem und der Zionismus, in Die Stimme der Wahrheit, Jahrbuch für wissenschaftlichen Zionismus, hrsg. vom Lazar Schön, Würzburg 1905, S. 211.
[21] Stenographisches Protokoll der Verhandlungen des V. Zionisten-Congresses in Basel, Wien 1901, S. 114.
[22] Kurt Blumenfeld, Ursprünge und Art der zionistischen Bewegung, in: LBB I (1957/58), S. 11.
[23] Martin Buber, Wege zum Zionismus, in: Die jüdische Bewegung, Bd. I, Berlin 1920, S. S. 39 f.
[24] Hermann Meier-Cronemeyer, Der Zionismus, in: Germania Judaica NF (19/20, VI. Jg, Heft 1/2 ) 1967, S. 11.

hagalil.com 28-09-05

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