Theodor Herzl / Benjamin S'ew Herzl
Der Judenstaat
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Vorrede
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Einleitung
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Allgemeiner Teil
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Die Jewish Company
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Ortsgruppen
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Society of Jews und Judenstaat
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Schlußwort
DIE SOCIETY OF JEWS UND DER JUDENSTAAT
Negotiorum Gestio
Diese Schrift ist nicht für
Fachjuristen berechnet; darum kann ich meine Theorie vom
Rechtsgrunde des Staates auch nur flüchtig andeuten, wie vieles
andere.
Dennoch muß ich einiges Gewicht auf meine neue Theorie legen, die
sich wohl selbst in einer rechtsgelehrten Diskussion wird halten
lassen.
Rousseaus heute schon veraltete Auffassung wollte dem Staat einen
Gesellschaftsvertrag zugrunde legen. Rousseau meint: «Die Klauseln
dieses Vertrages sind durch die Natur der Verhandlung so bestimmt,
daß die geringste Abänderung sie nichtig und wirkungslos machen
müßte. Die Folge davon ist, daß sie, wenn sie auch vielleicht nie
ausdrücklich ausgesprochen wären, doch überall gleich, überall
stillschweigend angenommen und anerkannt sind usw.»
Die logische und geschichtliche Widerlegung von Rousseaus Theorie
war und ist nicht schwer, wie furchtbar und fruchtbar diese Theorie
auch gewirkt habe. Für die modernen Verfassungsstaaten ist die
Frage, ob vor der Konstitution schon ein Gesellschaftsvertrag mit
«nicht ausdrücklich ausgesprochenen, aber unabänderlichen Klauseln»
bestanden habe, ohne praktisches Interesse. Jetzt ist das
Rechtsverhältnis zwischen Regierung und Bürgern jedenfalls
festgesetzt.
Aber vor der Einrichtung einer Verfassung und beim Entstehen eines
neuen Staates sind diese Grundsätze auch praktisch wichtig. Daß neue
Staaten noch immer entstehen können, wissen wir ja, sehen wir ja.
Kolonien fallen vom Mutterlande ab, Vasallen reißen sich vom Suzerän
los, neu erschlossene Territorien werden gleich als freie Staaten
gegründet. Der Judenstaat ist allerdings als eine ganz eigentümliche
Neubildung auf noch unbestimmtem Territorium gedacht. Aber nicht die
Länderstrecken sind der Staat, sondern die durch eine Souveränität
zusammengefaßten Menschen sind es.
Das Volk ist die persönliche, das Land die dingliche Grundlage des
Staates. Und von diesen beiden Grundlagen ist die persönliche die
wichtigere. Es gibt zum Beispiel eine Souveränität ohne dingliche
Grundlage, und sie ist sogar die geachtetste der Erde: Es ist die
Souveränität des Papstes.
In der Wissenschaft vom Staate herrscht gegenwärtig die Theorie der
Vernunftnotwendigkeit. Diese Theorie reicht aus, um die Entstehung
des Staates zu rechtfertigen, und sie kann nicht geschichtlich
widerlegt werden wie die Vertragstheorie. Soweit es sich um die
Entstehung des Judenstaates handelt, befinde ich mich in dieser
Schrift vollkommen auf dem Boden der Vernunftnotwendigkeitstheorie.
Diese weicht aber dem Rechtsgrunde des Staates aus. Der modernen
Anschauung entsprechen die Theorie der göttlichen Stiftung, die der
Übermacht, die Patriarchal-, Patrimonial- und Vertragstheorie nicht.
Der Rechtsgrund des Staates wird bald zu sehr in den Menschen
(Übermachts-, Patriarchal- und Vertragstheorie), bald rein über den
Menschen (göttliche Stiftung), bald unter den Menschen (dingliche
Patrimonialtheorie) gesucht. Die Vernunftnotwendigkeit läßt die
Frage bequem oder vorsichtig unbeantwortet. Eine Frage, mit der sich
die größten Rechtsphilosophen aller Zeiten so tief beschäftigt
haben, kann jedoch nicht ganz müßig sein. Tatsächlich liegt im Staat
eine Mischung von Menschlichem und Übermenschlichem vor. Für das
zuweilen drückende Verhältnis, in welchem die Regierten zu den
Regierenden stehen, ist ein Rechtsgrund unerläßlich. Ich glaube, er
kann in der negotiorum gestio gefunden werden. Wobei man sich die
Gesamtheit der Bürger dominus negotiorum und die Regierung als den
Gestor zu denken hat.
Der wunderbare Rechtssinn der Römer hat in der negotiorum gestio ein
edles Meisterwerk geschaffen. Wenn das Gut eines Behinderten in
Gefahr ist, darf jeder hinzutreten und es retten. Das ist der
Gestor, der Führer fremder Geschäfte. Er hat keinen Auftrag, das
heißt keinen menschlichen Auftrag. Sein Auftrag ist ihm von einer
höheren Notwendigkeit erteilt. Diese höhere Notwendigkeit kann für
den Staat auf verschiedene Weise formuliert werden und wird auch auf
den einzelnen Kulturstufen dem jeweiligen allgemeinen
Begriffsvermögen entsprechend verschiedenartig formuliert. Gerichtet
ist die Gestio auf das Wohl des Dominus, des Volkes, zu dem ja auch
der Gestor selbst gehört.
Der Gestor, verwaltet ein Gut, dessen Miteigentümer er ist. Aus
seinem Miteigentum schöpft er wohl die Kenntnis des Notstandes, der
das Eingreifen, die Führung in Krieg und Frieden erfordert; aber
keineswegs gibt er sich als Miteigentümer selbst einen gültigen
Auftrag. Er kann die Zustimmung der unzähligen Miteigentümer im
günstigsten Falle nur vermuten.
Der Staat entsteht durch den Daseinskampf eines Volkes. In diesem
Kampfe ist es nicht möglich, erst auf umständliche Weise einen
ordentlichen Auftrag einzuholen. Ja, es würde jede Unternehmung für
die Gesamtheit von vornherein scheitern, wenn man zuvor einen
regelrechten Mehrheitsbeschluß erzielen wollte. Die innere Parteiung
würde das Volk gegen den äußeren Notstand wehrlos machen. Alle Köpfe
sind nicht unter einen Hut zu bringen, wie man gewöhnlich sagt.
Darum setzt der Gestor einfach den Hut auf und geht voran.
Der Staatsgestor ist genügend legitimiert, wenn die allgemeine Sache
in Gefahr und der Dominus durch Willensunfähigkeit oder auf andere
Art verhindert ist, sich selbst zu helfen.
Aber durch sein Eingreifen wird der Gestor dem Dominus ähnlich wie
aus einem Vertrage, quasi ex contractu, verpflichtet. Das ist das
vorbestandene, oder richtiger: mitentstehende, Rechtsverhältnis im
Staate.
Der Gestor muß dann für jede Fahrlässigkeit haften, auch wegen
verschuldeter Nichtvollendung der einmal übernommenen Geschäfte und
Versäumung dessen, was damit im wesentlichen Zusammenhange steht
usw. Ich will die negotiorum gestio hier nicht weiter ausführen und
auf den Staat übertragen. Das würde uns zu weit vom eigentlichen
Gegenstande ablenken. Nur das eine sei noch angeführt: «Durch
Genehmigung wird die Geschäftsführung für den Geschäftsherrn in
gleicher Art wirksam, als wenn sie ursprünglich seinem Auftrag gemäß
geschehen wäre.»
Und was bedeutet das alles in unserem Falle?
Das Judenvolk ist gegenwärtig durch die Diaspora verhindert, seine
politischen Geschäfte selbst zu führen. Dabei ist es auf
verschiedenen Punkten in schwerer oder leichterer Bedrängnis. Es
braucht vor allem einen Gestor.
Dieser Gestor darf nun freilich nicht ein einzelnes Individuum sein.
Ein solches wäre lächerlich oder weil es auf seinem eigenen Vorteil
auszugehen schiene - verächtlich.
Der Gestor der Juden muß in jedem Sinne des Wortes eine moralische
Person sein.
Und das ist die Society of Jews.
Der Gestor der Juden
Dieses Organ der Volksbewegung, dessen
Art und Aufgaben wir erst jetzt erörtern, wird tatsächlich vor allem
anderen entstehen. Die Entstehung ist eine überaus einfache. Aus dem
Kreise der wackeren englischen Juden, denen ich in London den Plan
mitteilte, wird sich diese moralische Person bilden. Die Society of
Jews ist die Zentralstelle der beginnenden Judenbewegung.
Die Society hat wissenschaftliche und politische Aufgaben. Die
Gründung des Judenstaates, wie ich mir sie denke, hat moderne,
wissenschaftliche Voraussetzungen. Wenn wir heute aus Mizraim
wandern, kann es nicht in der naiven Weise der alten Zeit geschehen.
Wir werden uns vorher anders Rechenschaft geben von unserer Zahl und
Kraft. Die Society of Jews ist der neue Moses der Juden. Die
Unternehmung des alten großen Gestors der Juden in den einfachen
Zeiten verhält sich zur unserigen wie ein wunderschönes, altes
Singspiel zu einer modernen Oper. Wir spielen dieselbe Melodie mit
viel, viel mehr Violinen, Flöten, Harfen, Knie- und Baßgeigen,
elektrischem Licht, Dekorationen, Chören, herrlicher Ausstattung und
mit den ersten Sängern.
Diese Schrift soll die allgemeine Diskussion über die Judenfrage
eröffnen. Freunde und Feinde werden sich daran beteiligen - ich
hoffe, nicht mehr in der bisherigen Form sentimentaler
Verteidigungen und wüster Beschimpfungen. Die Debatte soll sachlich,
groß, ernst und politisch geführt werden.
Die Society of Jews wird alle Kundgebungen der Staatsmänner,
Parlamente, Judengemeinden, Vereine, die in Wort und Schrift, in
Versammlungen, Zeitungen und Büchern hervorkommen, sammeln. So wird
die Society zum erstenmal erfahren und feststellen, ob die Juden
schon ins Gelobte Land wandern wollen und müssen. Die Society wird
von den Judengemeinden in aller Welt die Behelfe zu einer
umfassenden Statistik der Juden erhalten.
Die späteren Aufgaben, die gelehrte Erforschung des neuen Landes und
seiner natürlichen Hilfsmittel, der einheitliche Plan zur Wanderung
und Ansiedlung, die Vorarbeiten für die Gesetzgebung und Verwaltung
usw. sind aus dem Zweck vernünftig zu entwickeln.
Nach außen muß die Society versuchen, wie ich schon anfangs im
allgemeinen Teil erklärte, als staatsbildende Macht anerkannt zu
werden. Aus der freien Zustimmung vieler Juden kann sie den
Regierungen gegenüber die nötige Autorität schöpfen.
Nach innen, das heißt dem Judenvolke gegenüber, schafft die Society
die unentbehrlichen Einrichtungen der ersten Zeit - die Urzelle, um
es mit einem naturwissenschaftlichen Worte zu sagen, aus der sich
später die öffentlichen Einrichtungen des Judenstaates entwickeln
sollen.
Das erste Ziel ist, wie schon gesagt, die völkerrechtlich gesicherte
Souveränität auf einem für unsere gerechten Bedürfnisse
ausreichenden Landstrich.
Was hat nachher zu geschehen?
Die Landergreifung
Als die Völker in den historischen
Zeiten wanderten, ließen sie sich vom Weltzufall tragen, ziehen,
schleudern. Wie Heuschreckenschwärme gingen sie in ihrem bewußtlosen
Zuge irgendwo nieder. In den geschichtlichen Zeiten kannte man ja
die Erde nicht. Die neue Judenwanderung muß nach wissenschaftlichen
Grundsätzen erfolgen.
Noch vor einigen vierzig Jahren wurde die Goldgräberei auf eine
wunderlich einfältige Weise betrieben. Wie abenteuerlich ist es in
Kalifornien zugegangen! Da liefen auf ein Gerücht hin die Desperados
aus aller Welt zusammen, stahlen der Erde, raubten einander das Gold
ab - und verspielten es dann ebenso räubermäßig.
Heute! Man sehe sich heute die Goldgräberei in Transvaal an. Keine
romantischen Strolche mehr, sondern nüchterne Geologen und
Ingenieure leiten die Goldindustrie. Sinnreiche Maschinen lösen das
Gold aus dem erkannten Gestein. Dem Zufall ist wenig überlassen.
So muß das neue Judenland mit allen modernen Hilfsmitteln erforscht
und in Besitz genommen werden.
Sobald uns das Land gesichert ist, fährt das Landnahmeschiff
hinüber.
Auf dem Schiff befinden sich die Vertreter der Society, der Company
und der Ortsgruppen.
Diese Landnehmer haben drei Aufgaben: 1. die genaue
wissenschaftliche Erforschung aller natürlichen Eigenschaften des
Landes, 2. die Errichtung einer straff zentralisierten Verwaltung,
3. die Landverteilung. Diese Aufgaben greifen ineinander und sind
dem schon genügend bekannten Zweck entsprechend auszuführen.
Nur eins ist noch nicht klargemacht: nämlich wie die Landergreifung
nach Ortsgruppen vor sich gehen soll.
In Amerika okkupiert man bei Erschließung eines neuen Territoriums
auch noch auf eine recht naive Art. Die Landnehmer versammeln sich
an der Grenze und stürzen sich zur bestimmten Stunde gleichzeitig
und gewaltsam darauf los.
So wird es im neuen Judenlande nicht zu machen sein. Die Plätze der
Provinzen und Städte werden versteigert. Nicht etwa für Geld,
sondern für Leistungen. Es ist nach dem allgemeinen Plane
festgestellt worden, welche Straßen, Brücken, Wasserregulierungen
usw. nötig sind für den Verkehr. Das wird nach Provinzen
zusammengelegt. Innerhalb der Provinzen werden in ähnlicher Weise
die Stadtplätze versteigert. Die Ortsgruppen übernehmen die
Verpflichtung, das ordentlich auszuführen. Sie bestreiten die Kosten
aus autonomen Umlagen. Die Society wird ja in der Lage sein
vorauszuwissen, ob sich die Ortsgruppen keiner zu großen Opfer
vermessen. Die großen Gemeinwesen erhalten große Schauplätze für
ihre Tätigkeit. Größere Opfer werden durch gewisse Zuwendungen
belohnt: Universitäten, Fach-, Hochschulen, Versuchsanstalten usw.
und jene Staatsinstitute, die nicht in der Hauptstadt sein müssen,
werden über das Land zerstreut.
Für die richtige Ausführung des Übernommenen haftet das eigene
Interesse der Ersteher und im Notfall die Ortsumlage. Denn so wie
wir den Unterschied einzelner Individuen nicht aufheben können und
wollen, so bleibt auch der Unterschied zwischen den Ortsgruppen
bestehen. Alles gliedert sich auf natürliche Weise. Alle erworbenen
Rechte werden geschützt, jede neue Entwicklung erhält genügenden
Spielraum. Diese Dinge werden sämtlich unseren Leuten deutlich
bekannt sein.
So wie wir die andern nicht überrumpeln oder betrügen, so täuschen
wir uns auch selbst nicht.
Von vornherein wird alles auf eine planvolle Art festgestellt sein.
An der Ausarbeitung dieses Planes, den ich nur anzudeuten vermag,
werden sich unsere scharfsinnigsten Köpfe beteiligen. Alle
sozialwissenschaftlichen und technischen Errungenschaften der Zeit,
in der wir leben, und der immer höheren Zeit, in welche die
langwierige Ausführung des Planes fallen wird, sind für den Zweck zu
verwenden. Alle glücklichen Erfindungen, die schon da sind und die
noch kommen werden, sind zu benützen. So kann es eine in der
Geschichte beispiellose Form der Landnahme und Staatsgründung
werden, mit bisher nicht dagewesenen Chancen des Gelingens.
Verfassung
Eine der von der Society
einzusetzenden großen Kommissionen wird der Rat der Staatsjuristen
sein. Diese müssen eine möglichst gute moderne Verfassung zustande
bringen. Ich glaube, eine gute Verfassung soll von mäßiger
Elastizität sein. In einem anderen Werke habe ich
auseinandergesetzt, welche Staatsformen mir als die besten
erscheinen. Ich halte die demokratische Monarchie und die
aristokratische Republik für die feinsten Formen des Staates.
Staatsform und Regierungsprinzip müssen in einem ausgleichenden
Gegensatz zueinander stehen. Ich bin ein überzeugter Freund
monarchistischer Einrichtungen, weil sie eine beständige Politik
ermöglichen und das mit der Staatserhaltung verknüpfte Interesse
einer geschichtlich berühmten, zum Herrschen geborenen und erzogenen
Familie vorstellen. Unsere Geschichte ist jedoch so lange
unterbrochen gewesen, daß wir an die Einrichtung nicht mehr
anknüpfen können. Der bloße Versuch unterläge dem Fluche der
Lächerlichkeit.
Die Demokratie ohne das nützliche Gegengewicht eines Monarchen ist
maßlos in der Anerkennung und in der Verurteilung, führt zu
Parlamentsgeschwätz und zur häßlichen Kategorie der Berufspolitiker.
Auch sind die jetzigen Völker nicht geeignet für die unbeschränkte
Demokratie, und ich glaube, sie werden zukünftig immer weniger dazu
geeignet sein. Die reine Demokratie setzt nämlich sehr einfache
Sitten voraus, und unsere Sitten werden mit dem Verkehr und mit der
Kultur immer komplizierter. «Le ressort d'une démocratie est la
vertu», sagt der weise Montesquieu. Und wo findet man diese Tugend,
die politische meine ich? Ich glaube nicht an unsere politische
Tugend, weil wir nicht anders sind als die anderen modernen Menschen
und weil uns in der Freiheit zunächst der Kamm schwellen würde. Das
Referendum halte ich für unvollständig, denn in der Politik gibt es
keine einfachen Fragen, die man bloß mit Ja und Nein beantworten
kann. Auch sind die Massen noch ärger als die Parlamente jedem
Irrglauben unterworfen, jedem kräftigen Schreier zugeneigt. Vor
versammeltem Volke kann man weder äußere noch innere Politik machen.
Politik muß von oben herab gemacht werden. Im Judenstaate soll darum
doch niemand geknechtet werden, denn jeder Jude kann aufsteigen,
jeder wird aufsteigen wollen. So muß ein gewaltiger Zug nach oben in
unser Volk kommen. Jeder einzelne wird nur glauben, sich selbst zu
heben, und dabei wird die Gesamtheit gehoben. Das Aufsteigen ist in
sittliche, dem Staate nützliche, der Volksidee dienende Formen zu
binden.
Darum denke ich mir eine aristokratische Republik. Das entspricht
auch dem ehrgeizigen Sinne unseres Volkes, der jetzt zu alberner
Eitelkeit entartet ist. Manche Einrichtung Venedigs schwebt mir vor;
aber alles, woran Venedig zugrunde ging, ist zu vermeiden. Wir
werden aus den geschichtlichen Fehlern anderer lernen, wie aus
unseren eigenen. Denn wir sind ein modernes Volk und wollen das
modernste werden. Unser Volk, dem die Society das neue Land bringt,
wird auch die Verfassung, die ihm die Society gibt, dankbar
annehmen. Wo sich aber Widerstände zeigen, wird die Society sie
brechen. Sie kann sich im Werke durch beschränkte oder böswillige
Individuen nicht stören lassen.
Sprache
Vielleicht denkt jemand, es werde eine
Schwierigkeit sein, daß wir keine gemeinsame Sprache mehr haben. Wir
können doch nicht Hebräisch miteinander reden. Wer von uns weiß
genug Hebräisch, um in dieser Sprache ein Bahnbillett zu verlangen?
Das gibt es nicht. Dennoch ist die Sache sehr einfach. Jeder behält
seine Sprache, welche die liebe Heimat seiner Gedanken ist. Für die
Möglichkeit des Sprachenföderalismus ist die Schweiz ein endgültiges
Beispiel. Wir werden auch drüben bleiben, was wir jetzt sind, so wie
wir nie aufhören werden, unsere Vaterländer, aus denen wir verdrängt
wurden, mit Wehmut zu lieben.
Die verkümmerten und verdrückten Jargons, deren wir uns jetzt
bedienen, diese Ghettosprachen werden wir uns abgewöhnen. Es waren
die verstohlenen Sprachen von Gefangenen. Unsere Volkslehrer werden
dieser Sache ihre Aufmerksamkeit zuwenden. Die dem allgemeinen
Verkehre am meisten nützende Sprache wird sich zwanglos als
Hauptsprache einsetzen. Unsere Volksgemeinschaft ist ja eine
eigentümliche, einzige. Wir erkennen uns eigentlich nur noch am
väterlichen Glauben als zusammengehörig.
Theokratie
Werden wir also am Ende eine
Theokratie haben? Nein! Der Glaube hält uns zusammen, die
Wissenschaft macht uns frei. Wir werden daher theokratische
Velleitäten unserer Geistlichen gar nicht aufkommen lassen. Wir
werden sie in ihren Tempeln festzuhalten wissen, wie wir unser
Berufsheer in den Kasernen festhalten werden. Heer und Klerus sollen
so hoch geehrt werden, wie es ihre schönen Funktionen erfordern und
verdienen. In den Staat, der sie auszeichnet, haben sie nichts
dreinzureden, denn sie werden äußere und innere Schwierigkeiten
heraufbeschwören.
Jeder ist in seinem Bekenntnis oder in seinem Unglauben so frei und
unbeschränkt wie in seiner Nationalität. Und fügt es sich, daß auch
Andersgläubige, Andersnationale unter uns wohnen, so werden wir
ihnen einen ehrenvollen Schutz und die Rechtsgleichheit gewähren.
Wir haben die Toleranz in Europa gelernt. Ich sage das nicht einmal
spöttisch. Den jetzigen Antisemitismus kann man nur an vereinzelten
Orten für die alte religiöse Intoleranz halten. Zumeist ist er bei
den Kulturvölkern eine Bewegung, mit der sie ein Gespenst ihrer
eigenen Vergangenheit abwehren möchten.
Gesetze
Wenn die Verwirklichung des
Staatsgedankens näherrückt, wird die Society of Jews
gesetzgeberische Vorarbeiten machen lassen durch ein
Juristenkollegium. Für die Übergangszeit läßt sich der Grundsatz
annehmen, daß jeder, der aus den verschiedenen Ländern einwandernden
Juden, nach seinen bisherigen Landesgesetzen zu beurteilen sei. Bald
ist die Rechtseinheit anzustreben. Es müssen moderne Gesetze sein,
auch da überall das Beste zu verwenden. Es kann eine vorbildliche
Kodifikation werden, durchdrungen von allen gerechten sozialen
Forderungen der Gegenwart.
Das Heer
Der Judenstaat ist als ein neutraler
gedacht. Er braucht nur ein Berufsheer - allerdings ein mit
sämtlichen modernen Kriegsmitteln ausgerüstetes - zur
Aufrechterhaltung der Ordnung nach außen wie nach innen.
Die Fahne
Wir haben keine Fahne. Wir brauchen
eine. Wenn man viele Menschen führen will, muß man ein Symbol über
ihre Häupter erheben.
Ich denke mir eine weiße Fahne mit sieben goldenen Sternen. Das
weiße Feld bedeutet das neue, reine Leben; die Sterne sind die
sieben goldenen Stunden unseres Arbeitstages. Denn im Zeichen der
Arbeit gehen die Juden in das neue Land.
Reziprozität und
Auslieferungsverträge
Der neue Judenstaat muß anständig
gegründet werden. Wir denken ja an unsere künftige Ehre in der Welt.
Darum müssen alle Verpflichtungen in den bisherigen Wohnorten
rechtschaffen erfüllt werden. Billige Fahrt und alle
Ansiedlungsbegünstigungen werden Society of Jews und Jewish Company
nur denjenigen gewähren, die ein Amtszeugnis ihrer bisherigen
Behörde beibringen: «In guter Ordnung fortgezogen.» Alle
privatrechtlichen Forderungen, die noch aus den verlassenen Ländern
stammen, sind im Judenstaate leichter klagbar als irgendwo. Wir
werden gar nicht auf Reziprozität warten. Wir tun das nur um unserer
eigenen Ehre willen. So werden späterhin auch unsere Forderungen
willigere Gerichte finden, als dies jetzt da und dort der Fall sein
mag.
Von selbst versteht sich nach allem Bisherigen, daß wir auch die
jüdischen Verbrecher leichter ausliefern als jeder andere Staat, bis
zu dem Augenblicke, wo wir die Strafhoheit nach denselben
Grundsätzen ausüben werden wie alle übrigen zivilisierten Völker. Es
ist also eine Übergangszeit gedacht, während welcher wir unsere
Verbrecher erst nach abgebüßter Strafe aufnehmen. Haben sie aber
gebüßt, so werden sie ohne jede Restriktion aufgenommen, es soll
auch für die Verbrecher unter uns ein neues Leben beginnen.
So kann für viele Juden die Auswanderung zu einer glücklich
verlaufenden Krise werden. Die schlechten äußeren Bedingungen, unter
denen mancher Charakter verdorben ist, werden behoben, und Verlorene
können gerettet werden.
Ich möchte da kurz die Geschichte erzählen, die ich in einem Bericht
über die Goldminen von Witwatersrand gefunden habe. Ein Mann kam
eines Tages nach dem Rand, ließ sich nieder, versuchte einiges, nur
nicht das Goldgraben, gründete endlich eine Eisfabrik, die
prosperierte, und erwarb sich bald durch seine Anständigkeit die
allgemeine Achtung. Da wurde er nach Jahren plötzlich verhaftet. Er
hatte in Frankfurt als Bankier Betrügereien verübt, war entflohen
und hatte hier unter falschem Namen ein neues Leben begonnen. Als
man ihn aber gefangen fortführte, da erschienen die angesehensten
Leute auf dem Bahnhof, sagten ihm herzlich Lebewohl und auf
Wiedersehen! Denn er wird wiederkommen.
Was sagt diese Geschichte alles! Ein neues Leben vermag selbst
Verbrecher zu bessern. Und wir haben doch verhältnismäßig sehr wenig
Verbrecher. Man lese dazu eine interessante Statistik, «Die
Kriminalität der Juden in Deutschland», die von Dr. P. Nathan in
Berlin - im Auftrage des Komitees zur Abwehr antisemitischer
Angriffe - auf Grund amtlicher Ausweise zusammengestellt wurde.
Freilich geht aber diese zahlenerfüllte Schrift, wie manche andere
«Abwehr», von dem Irrtum aus, daß sich der Antisemitismus vernünftig
widerlegen lasse. Man haßt uns vermutlich ebensosehr wegen unserer
Vorzüge wie wegen unserer Fehler.
Vorteile der Judenwanderung
Ich denke mir, daß die Regierungen
diesem Entwurfe freiwillig oder unter dem Drucke ihrer Antisemiten
einige Aufmerksamkeit schenken werden, und vielleicht wird man sogar
da und dort von Anfang an dem Plane mit Sympathie entgegenkommen und
es der Society of Jews auch zeigen.
Denn durch die Judenwanderungen, die ich meine, können keine
wirtschaftlichen Krisen entstehen. Solche Krisen, die im Gefolge von
Judenhetzen überall kommen müßten, würden durch die Ausführung
dieses Entwurfes vielmehr verhindert werden. Eine große Periode der
Wohlfahrt würde in den jetzt antisemitischen Ländern beginnen. Es
wird ja, wie ich schon oft sagte, eine innere Wanderung der
christlichen Staatsbürger in die langsam und planvoll evakuierten
Positionen der Juden stattfinden. Wenn man uns nicht nur gewähren
läßt, sondem geradezu hilft, so wird die Bewegung überall
befruchtend wirken. Es ist auch eine bornierte Vorstellung, von der
man sich freimachen muß, daß durch den Abzug vieler Juden eine
Verarmung der Länder eintreten müßte. Anders stellt sich. ein Abzug
infolge von Hetzen dar, wobei allerdings, wie in der Verwirrung
eines Krieges, Güter zerstört werden. Und anders ist der friedliche,
freiwillige Abzug von Kolonisten, wobei alles unter Schonung
erworbener Rechte, in vollster Gesetzlichkeit, frei und offen, am
hellen Tage, unter den Augen der Behörden, unter der Kontrolle der
öffentlichen Meinung vollzogen werden kann. Die Auswanderung von
christlichen Proletariern nach anderen Weltteilen käme durch die
Judenbewegung zum Stillstande.
Die Staaten hätten ferner den Vorteil, daß ihr Exporthandel gewaltig
wüchse, denn da die ausgewanderten Juden drüben noch lange auf die
europäischen Erzeugnisse angewiesen wären, müßten sie sie notwendig
beziehen. Durch die Ortsgruppen würde ein gerechter Ausgleich
geschaffen, die gewohnten Bedürfnisse müßten sich noch lange an den
gewohnten Orten decken.
Einer der größten Vorteile wäre wohl die soziale Erleichterung. Die
soziale Unzufriedenheit könnte auf eine Zeit hinaus beschwichtigt
werden, die vielleicht zwanzig Jahre, vielleicht länger dauern
würde, jedenfalls aber die ganze Zeit der Judenwanderung hindurch
anhielte.
Die Gestaltung der sozialen Frage hängt nur von der Entwicklung der
technischen Mittel ab. Der Dampf hat die Menschen um die Maschinen
herum in den Fabriken versammelt, wo sie aneinandergedrückt sind und
durcheinander unglücklich werden. Die Produktion ist eine ungeheure,
wahllose, planlose, führt jeden Augenblick zu schweren Krisen, durch
die mit den Unternehmern auch die Arbeiter zugrunde gehen. Der Dampf
hat die Menschen aneinandergepreßt, die Anwendung der Elektrizität
wird sie vermutlich wieder auseinanderstreuen und vielleicht in
glücklichere Arbeitszustände bringen. Jedenfalls werden die
technischen Erfinder, die wahren Wohltäter der Menschheit, auch nach
Beginn der Judenwanderung weiterarbeiten und hoffentlich so
wunderbare Dinge finden wie bisher, nein, immer wunderbarere. Schon
scheint das Wort «unmöglich» aus der Sprache der Technik
verschwunden zu sein. Käme ein Mann des vorigen Jahrhunderts wieder,
er fände unser ganzes Leben voll unbegreiflicher Zaubereien. Wo wir
Modernen mit unseren Hilfsmitteln erscheinen, verwandeln wir die
Wüste in einen Garten. Zur Errichtung von Städten genügen uns jetzt
so viele Jahre, als man in früheren Epochen der Geschichte
Jahrhunderte brauchte - dafür zahllose Beispiele in Amerika. Die
Entfernungen sind als Hindernis überwunden. Die Schatzkammer des
modernen Geistes enthält schon unermeßliche Reichtümer; jeder Tag
vermehrt sie, hunderttausend Köpfe sinnen, suchen auf allen Punkten
der Erde, und was einer entdeckt hat, gehört im nächsten Augenblick
der ganzen Welt. Wir selbst möchten im Judenlande alle neuen
Versuche benützen, vorbilden, und wie wir im Siebenstundentage ein
Experiment zum Wohl der ganzen Menschheit machen, so wollen wir in
allem Menschenfreundlichen vorangehen und als neues Land ein
Versuchsland und Musterland vorstellen.
Nach dem Abzug der Juden werden die von ihnen geschaffenen
Unternehmungen verbleiben, wo sie waren. Und nicht einmal der
jüdische Unternehmungsgeist wird dort fehlen, wo man ihn geme sieht.
Das mobile jüdische Kapital wird auch fernerhin seine Anlagen dort
suchen, wo seinen Besitzern die Verhältnisse wohlbekannt sind. Und
während jetzt das jüdische Geldkapital wegen der Verfolgung außer
Landes die entlegensten Unternehmungen aufsucht, wird es bei dieser
friedlichen Lösung zurückkehren und zum weiteren Aufschwung der
bisherigen Wohnorte der Juden beitragen.
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