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Judentum und Israel
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Berl Katznelson

Der Zionismus am Scheideweg

Referat, gehalten in einer Veranstaltung des "Brith Rischonim"1) vom 17.7.1933 in Tel-Awiv

Als ich vor einigen Wochen eurer Bitte entgegenkam, über dieses Thema zu sprechen, ahnte ich nicht, was inzwischen geschehen würde 2). Hätte ich eine Ahnung davon gehabt, daß wir solch einer schrecklichen Zeit entgegen gehen würden, dann würde ich vielleicht dieses Referat, nicht übernommen haben. Da ich es aber versprochen habe, möchte ich mein Versprechen halten. Ich werde also so sprechen, als ob sich inzwischen nichts ereignet hätte, als ob ich nur ein früher begonnenes Gespräch weiterführe. Vielleicht wird jemandem diese Art als unzeitgemäß erscheinen, ich weiß auch, daß etwas Unschönes, Künstliches darin liegt, daß ich mit vollem Bewußtsein darüber zu sprechen verzichte, was uns Alle in diesen Tagen bewegt. Aber wir sind alle verletzt, und die Wunde ist noch zu frisch, und es ist zu schmerzhaft und vielleicht auch zu gefährlich, sie heute zu berühren. Ich will also heute so sprechen, als ob wir uns in einer Atmosphäre befänden, die eine rein gedankliche, von Affekten freie Auseinandersetzung möglich macht.

Die Träger der Verwirklichung

Vor kurzem noch beherrschte mich der leidenschaftliche Wunsch, über die praktischen Fragen des Zionismus zu sprechen, über das, was wir "Pläne" nennen. Lange Jahre gab es nicht so viel Voraussetzungen für ein umfassendes zionistisches Aufbauprogramm, wie in diesem Jahr 1933. Ich hoffte, daß die letzten Monate vor dem Kongreß einer Auseinandersetzung über Schaffung neuer nationaler Werkzeuge für den kolonisatorischen Aufbau gewidmet werden. Ich dachte, daß die alten Gedanken des Zionismus, die alten Pläne Herzls, die eine Generation lang verschüttet lagen, jetzt zur Verwirklichung kommen werden. Aber in der letzten Zeit beunruhigt mich wieder ein bitterer Gedanke und dieser Gedanke hat schließlich meine ganze innere Aufmerksamkeit beherrscht:

Können wir überhaupt über Pläne sprechen, solange wir keine bestimmende Kraft haben, die diese Pläne im Volke und im Zionismus durchführen kann?

Am Beginn der "Chibath Zion" stand schon die Frage: Wer sind die Verwirklicher und wo ist die Kraft, die die Verwirklichung von der Diaspora aus unterbaut? Es war klar, es mußte eine Kraft sein, die die Aufgaben der gesamten Nation, oder wie wir es heute sagen, die "staatliche" Aufgabe des jüdischen Volkes auf sich nimmt. Und wenn ich mich heute frage, existiert denn im Augenblick diese Kraft, die Herzl geschaffen hat, weiß ich nicht, ob ich das Recht habe, ja zu sagen. Zweifellos, vom Standpunkt der täglichen Verwirklichung im Lande, gehen wir in diesen Tagen ununterbrochen vorwärts. Tausende von Juden verwurzeln sich ununterbrochen in unserem Lande und bei den Neuankommenden vollzieht sich dies schmerzloser als früher. Aber wenn wir das Geschehen der letzten Zeit von einer höheren Warte aus bewerten wollen, vom Standpunkt einer nationalen, einheitlichen Atmosphäre, ohne die uns auf lange Sicht eine zionistische Verwirklichung unmöglich ist, dann haben wir keinesfalls ein Recht, optimistisch zu sein. Manchmal scheint es nicht nur, daß wir auf Jahre zurückgeworfen sind, sondern als ob wir uns in dem geistigen Zustand befänden, als es überhaupt noch keine einheitliche zionistische Organisation gab, es scheint, als ob die Gegensätze innerhalb des Volkes nicht zu überbrücken wären.

Ich möchte nicht mißverstanden werden: Ich gehöre nicht zu denen, die jede Differenzierung in der zionistischen Bewegung beklagen. Die Idylle, die in dem kleinen ostjüdischen Städtchen zu Beginn der "Chibath Zion" herrschte, ist nicht wieder zu erwecken. Die alten und naiven Zeiten, in denen die zionistische Diskussion darin bestand, ob man am Jom-Kippur den Sammelteller für den palästinensischen Jischuw in der Synagoge aufstellen darf oder nicht, sind für uns endgültig vorbei. Die romantische "Einheitlichkeit" des unentwickelten und undifferenzierten jüdischen Städtchens kann nicht unser Ziel sein.

Die alte und die neue zionistische Diskussion

Es gibt in unserer Welt auch eine moderne Auffassung von der nationalen Einheit, einer Einheit, die keine geistige Strömungen, keine spontane Bewegung im Volke zuläßt. Ich muß gestehen, daß ich diese Einheit nicht erstrebe, und ich weiß, daß der Zionismus nur in der Atmosphäre einer freien Auseinandersetzung aller Kräfte unseres Volkes zu verwirklichen ist. Deshalb sehe ich in dem Parteienkampf innerhalb des Zionismus nicht nur eine natürliche, sondern auch eine positive Erscheinung. Hier, zwischen uns, wissen wir eigentlich, daß die zionistische Bewegung auch in der früheren Zeit kein friedliches Gewässer war. Auch in den Tagen von Ussischkin und Wolffsohn, Lilienblum und Mohilewer gingen wir durch Sturm und Kampf. Die Tage von Uganda sind in euerem Gedächtnis noch lebendig, und Uganda war nicht der einzige "Fall".

Viele Gegensätze, die jetzt das Bild des Zionismus ergeben, sind Gegensätze, die aus der Wirklichkeit einer neuen Gesellschaft in Palästina entstehen. Sie sind ein Ausdruck von gewichtigen Interessen, sie sind ein Ausdruck der Schwierigkeit der Verwirklichung. Wie lange haben wir auf dieses wirkliche soziale Leben, das unsere Scheindiskussion in der Diaspora ablösen soll, gewartet! Die Auseinandersetzungen von heute sind, glücklicherweise, nicht mehr den alten Diskussionen um die Jahrhundertwende ähnlich. Diese alten Diskussionen, haben trotz ihres hohen intellektuellen Wertes die tatsächliche jüdische oder zionistische Wirklichkeit in nichts geändert. Wer sich jetzt an die Kämpfe um den Kulturzionismus, um Achad Haam erinnert, weiß, wie unmerkbar diese ideologische Auseinandersetzung für das wirkliche Leben der jüdischen Massen war. Wir brauchen uns nicht zu schämen, daß wir reif und männlich wurden, daß wir aus den Kinderschuhen herausgewachsen sind.

Es kann sein, daß unsere Zeit, die eine Zeit der Tat, der Verwirklichung ist, nicht den inneren Rahmen zu einer so tiefschürfenden Auseinandersetzung besitzt wie zwischen Achad Haam, Lilienblum und Berditschewsky. Vielleicht reichen auch unsere persönlichen Kräfte nicht dazu aus, die Tat läßt nicht allzu viel Ruhe zu innerer Erkenntnis, aber aus unseren Kämpfen wird eine Wirklichkeit für Hunderttausende und Millionen Juden geformt. Unsere innerzionistischen Kämpfe sind ein organischer Teil (Form und Voraussetzung zugleich) für das tagtägliche Leben in Palästina.

Der verpflichtende Inhalt des Zionismus

Aber in den früheren Kämpfen des Zionismus war außer dem romantischen Nebel noch etwas, das uns alle einte. Es war ein Gefühl einer zionistischen Verantwortung da, ein Glaube an den Gesamtzionismus, an die schaffende Kraft der uns alle umfassenden Kraft der zionistischen Weltbewegung. Man dürfte hoffen, daß jetzt, nachdem der Zionismus einen so ungeheueren Aufschwung erlebt hat, nachdem eine große jüdische Arbeiterbewegung im Lande entstanden ist, wir zu einem neuen Glauben an die einheitliche Kraft des Zionismus gelangen werden. Wir dürfen hoffen, daß trotz der vielen und ernsten Gegensätze um die Probleme der jüdischen Arbeit, der Kolonisationsformen, des Kulturaufbaus, das Verständnis für die Notwendigkeit eines einheitlichen Vorgehens des Zionismus stärker wird. Es ist doch jedem klar, daß nur dann Hunderte und Tausende ins Land kommen können, wenn der Zionismus nach außen und nach innen mit einem verpflichtenden zionistischen Programm auftritt.

Leider sieht es in der Wirklichkeit ganz anders aus. Die Werte, die die zionistische Bewegung uns in zwei Generationen als verpflichtend anerzogen hat, werden als unbrauchbares Zeug von einem Teil der zionistischen Oeffentlichkeit über Bord geworfen. Das Gefühl von der verpflichtenden Einheit des Zionismus wird als überflüssig und belastend empfunden.

Wir werden einige Beispiele anführen: Der Zionismus, in seinem Bestreben einen jüdischen Staat aufzubauen, errichtete zuerst den "jüdischen Staat unterwegs". Er sollte in jeder Hinsicht ein Staatssurrogat sein. Herzl beschränkte sich nicht auf den Schekel, sondern er gründete auch die Kolonialbank 3). Er hat verstanden, daß die nationale Organisation nicht genüge, er wollte auch nationales Kapital haben. Herzl und seine Freunde waren keinesfalls Sozialisten. Aber sie waren Realpolitiker genug, um zu verstehen, daß man die letzte Hoffnung des jüdischen Volkes nicht mit den Profitinteressen des privaten Kapitals allein verbinden kann. Sie haben dem privaten Kapital, das aus der Diaspora zu emigrieren gezwungen wird, einen breiten Raum im Aufbau des Landes gelassen. Es sollte eine Liquidationsbank gegründet werden, um das jüdische Privatkapital vor Entwertung und Zerstörung zu retten. Aber sie wußten auch, daß ohne nationale kolonisatorische Werkzeuge, die die unbemittelten Massen ins Land bringen und sie zu Trägern einer neuen Gesellschaft machen werden, der Zionismus nicht verwirklichbar ist. Wer sich in der Geschichte des Zionismus auskennt, der wird wohl wissen, daß bei Herzl der Kolonisationsgedanke des nationalen Kapitals keinesfalls weniger Raum einnahm, als der politische Gedanke der internationalen öffentlichen Sicherung eines National-Heims.

Sehen wir um uns, was wurde aus diesem Herzlschen Gedanken des nationalen Kapitals und der nationalen Kolonisation in der zionistischen Oeffentlichkeit? — Viele haben diesen Teil der zionistischen Gedankenwelt zu den Akten gelegt. Das Unglück ist nicht nur darin zu sehen, daß das nationale Kapital tatsächlich in keiner Zeit unseres Aufbaus mit den Erfordernissen des Landes Schritt hält, sondern noch vielmehr darin, daß in weiten zionistischen Kreisen die Notwendigkeit des nationalen Kapitals fragwürdig, überflüssig und manchmal sogar negativ angesehen wird. Wir sollten doch nicht so oberflächlich sein, und die Krise des nationalen Kapitals und der nationalen Kolonisation allein aus der Wirtschaftskrise und den organisatorischen Schwächen  der zionistischen  Bewegung  erklären. Die Ursachen liegen tiefer: in dem gewollten Unverständnis für die Notwendigkeit der nationalen Initiative im Aufbau.

Diese Beziehung, oder richtiger gesagt Beziehungslosigkeit zu nationalen Fonds ist keine Gegnerschaft gegen Gelder, die im Volke gesammelt werden und einer nationalen Institution nominell gehören; was wir hier sehen, ist etwas anderes: ein Unwille darüber, daß die Nation diese Gelder für selbständige, wirtschaftliche Aufgaben verwendet, eine Gegnerschaft zu einem nationalen, planmäßigen Aufbau. Vor einigen Tagen sagte ich gelegentlich: Wenn heute zu uns Prof. Schapiro kommen würde und jetzt vorschlagen würde, den Nationalfond zu gründen, dann hätte man diesen Vorschlag abgelehnt. Man würde "gesellschaftliche" Argumente in Hülle und Fülle gegen den KKL. vorbringen. Man würde sagen: Wozu gerade nationalen Boden, wenn die jüdischen Massen in der Diaspora an individualistische und anarchische Wirtschaftsformen gewöhnt sind? Wird denn der Boden unter die verschiedenen Klassenschichten des Volkes proportioneil verteilt? Besteht keine "Gefahr", daß eine bestimmte Schicht im Volke sich besonders geeignet erweist, den nationalen Boden urbar und fruchtbar zu machen? — Wenn wir heute noch nationale kolonisatorische Institutionen haben, dann ist es hauptsächlich auf Rechnung der zionistischen Gedankenwelt der früheren Zeiten zu buchen. Heute, für die Bedürfnisse der neuen Zeit, sind wir unfähig, neue nationale Instrumente aufzubauen.

Um die nationale Einheit des Jischuw

Und noch weiter: Vor einigen Jahren brach eine schwere Wirtschaftskrise über das Land herein 4). Die Alija wurde gesperrt und in kurzer Zeit hat das Land einige Tausend Juden verloren. Eigentlich sollte der Jischuw der erste sein, um, von innen heraus, organisiert und einheitlich etwas gegen diese Krisen zu tun. In früheren Zeiten, als der Jischuw noch klein war, hat er auch solche Fähigkeiten gezeigt. Wir bewundern noch heute die Selbsthilfe, die gegenseitige Verantwortung, die der kleine jüdische Jischuw im Weltkrieg bewiesen hatte. Als die Krise von 1926 kam, waren schon in dem Jischuw bestimmte Wirtschafts- und Finanzkreise, und man konnte glauben, daß es sicher möglich sein wird, von dem Jischuw aus die Krise zu bremsen. Wir, die organisierten Arbeiter, konnten damals zweifellos innerhalb der Histadruth ein großes Werk der Selbsthilfe und Wirtschaftsinitiative aufbauen. Aber es waren viele unter uns, die sagten, es ginge nicht an, sich auf diese innere Tätigkeit allein zu beschränken. Wir haben uns mit dem Gedanken getragen, aus der Not dieser Krise ein aufbauendes Instrument des gesamten Jischuw zu bilden, und so kam es zu dem Vorschlag des "Ozar Hajischuw" 5). Vielleicht gibt es heute nicht mehr viele, die den "Ozar Hajischuw" noch in ihrem Gedächtnis behalten haben. Seinerzeit wurde der Vorschlag einstimmig im Waad Leumi angenommen. Aber eine gewisse Presse, die die Meinung weiter bürgerlicher Kreise im Lande vertritt, hat sofort mit Hohn und Argwohn gefragt: "Wer hat den Ozar Hajischuw vorgeschlagen?" Wenn dieser Vorschlag von Arbeiterkreisen stammt, dann ist es doch klar, daß sie darin etwas für sich erhoffen. Und wenn sie etwas Gutes für sich erhoffen, dann muß es doch jemandem anderen Schaden bringen. Warum soll man also so einfältig sein und den arbeitenden Jischuw stärken ?"

Die praktische Folge dieser Pressekampagne war, daß man in gewissen Kreisen zu beraten begann, ob überhaupt eine nationale Initiative zur Bekämpfung der Krise wünschenswert sei. Wie sich wohl mancher von Euch erinnern wird, wurde vorgeschlagen, daß die Arbeiter bei der Gründung und in der Leitung des Fonds nicht allzu viel hervortreten sollen, sie dürfen zwar mitarbeiten, Geld geben, aber das sollte auch alles sein. Wir haben diesen Vorschlag damals angenommen. Wir haben es gemacht, weil wir den Jischuw zu einer selbständigen Wirtschaftstätigkeit erziehen wollten, weil wir die Knesseth Jisrael6) von Abhängigkeit der Diaspora gegenüber, von Philantropie befreien wollten.

Wir wissen, was das Schicksal dieses Fonds wurde. Der Unwille bürgerlicher Kreise, etwas Gemeinsames für den ganzen Jischuw zu tun, ihr Unvermögen, mit dem Volke zu arbeiten, ihre Angst, daß die nationale Initiative objektiv den arbeitenden Jischuw stärke, — haben es vermocht, die erste selbständige, kolonisatorische Institution des Jischuw von innen zu untergraben und zu zerstören. Seitdem wurden allerlei neue Werke in Erez Jisrael gegründet, viele einzelne Juden haben aus Glück und Unglück des Jischuw großes Kapital angehäuft, aber der Jischuw als Ganzes ist arm und von der Diaspora abhängig geblieben. Er ist jeder Wende in der Konjunktur widerstandlos preisgegeben. Wir haben bis heute in Palästina nichts geschaffen, das uns in den Wechselfällen des Wirtschaftslebens eine Staatshilfe ersetzen kann.

Die bittere Erfahrung, die wir mit der Knesseth Jisrael gemacht haben, hat uns vieles gelehrt. Noch vor 30 Jahren versuchte Ussischkin in Sichron-Jaakow die erste allgemeine Organisation des Jischuw ins Leben zu rufen. Das war damals keinesfalls eine private Initiative von Ussischkin, die ganze zionistische Bewegung sah darin einen Versuch, den Jischuw auf eigene Beine zu stellen, einen Kern für unsere Selbständigkeit im Lande zu bilden.

Nun sind wir seit einigen Jahren traurige Zeugen, wie diese Knesseth Jisrael, die mit großer Mühe durchgesetzt wurde, zwischen Leben und Tod schwebt. Und obwohl es Menschen gibt, die ihre ganze Energie für dieses Werk hingegeben haben, ohne Belohnung zu erwarten, ist das Werk kaum weitergekommen. Jeder "geschäftstüchtige" Jude sieht mit Hohn und Geringschätzung auf diese Männer.

Und wirklich, wie kann man in solch einer Atmosphäre der Gleichgültigkeit arbeiten. Es scheint, daß der Jischuw nicht mehr ein Organismus mit gesunder Differenzierung ist, sondern ein Konglomerat von auseinanderstrebenden Gliedern. Es gibt schon manchen wohlhabenden Pflanzer, der ein Bedürfnis nach einem jüdischen Gesamtorganismus gar nicht mehr fühlt. Mancher Plantagenbesitzer fragt sich, was werde ich durch die Knesseth Jisrael gewinnen? Vielleicht hat er sogar Recht. Die Beziehung zwischen den Orangen Weltmarktpreisen und der Autorität der Knesseth Jisrael ist nicht leicht zu finden. Wozu braucht er alle diese verpflichtenden Verantwortungen gegenüber dem Jischuw? Wozu braucht er in den Institutionen der Knesseth Jisrael mit mittellosen Juden zusammen zu sitzen, die an ihn Forderungen im Namen der Nation stellen? Mancher Plantagenbesitzer macht sich seine Rechnung: In der Knesseth Jisrael ist er in der Minderheit, man entscheidet dort nicht nach der Zahl der Dunam, sondern nach der Zahl der Hände. Ist er denn überhaupt verpflichtet, hier zu sitzen? — So denken nicht nur die Zyniker unter den Plantagenbesitzern.

Gegen den leichten Zionismus

Man spricht jetzt in zionistischen Kreisen sehr viel über die Notwendigkeit der nationalen Entscheidung in Arbeitsstreitigkeiten und anderen Auseinandersetzungen im Jischuw. Ich will über dieses Problem jetzt nicht von der Theorie aus sprechen. Ich will jetzt nicht um die Theorie, sondern um die Praxis der nationalen Entscheidungen kämpfen. Sehen wir jetzt nicht in Palästina, wie in unserem Jischuw anarchische Kräfte aufwachsen, die sich keiner nationalen Entscheidung, weder in wirtschaftlichen noch in politischen Fragen unterordnen wollen? Das Tragikomische dabei ist, daß diese Kräfte eine radikal-chauvinistische Ideologie im Munde führen.

Wie kam es dazu? Sind bei uns in Erez Jisrael wirklich die Klassengegensätze so stark, daß sie eine nationale Kooperation unmöglich machen? Ich leugne es entschieden. Ich weiß, daß die tatsächlichen Gegensätze im Aufbau des Landes keinesfalls einen allgemeinen nationalen Rahmen, eine verpflichtende Atmosphäre unmöglich machen.

Die vollkommene Auflösung der jüdischen Oeffentlichkeit, wie sie z. B. in Polen herrscht, und auf den Jischuw übertragen wird, ist keinesfalls ein Ausdruck von wirklichen Gegensätzen zwischen Arbeitern und Bürgern. Mehr als objektive Gegensätze sind hier psychologische Gegebenheiten von Bedeutung: der Neid über unser Werk und die Wut über das eigene Unvermögen.

Vor vielen Jahren ist einmal das Wort vom "Sozialismus der Dummen" gefallen. In diesem Jahre mußten wir uns überzeugen, daß es auch einen "Zionismus der Dummen" gibt. Wir können hierüber nicht mit einem übermütigen Lächeln sprechen, da diese Art von Zionismus zum großen Unglück der jüdischen Renaissance-Bewegung wurde. Einmal vor einigen Jahren, als zuerst in "zionistischen;" Kreisen der Zorn gegen das arbeitende jüdische Palästina erwachte, schrieb Dr. Glücksohn 7): "Man ist auf die zionistische Arbeiterschaft böse, nicht weil sie die nationalen Aufgaben nicht erfüllt, sondern gerade weil sie sie ununterbrochen erfüllt." Weil sie den Emek aufgebaut hat, weil sie der jüdischen Arbeit in den Kolonien zum Sieg verholfen hat. Gerade die zionistische Schaffenskraft der jüdischen Arbeiter Palästinas erweckt Zorn und Neid. Unsere Gegner sagten damals: "Die Arbeiter haben alles erobert." Und wir pflegen ihnen zu antworten: "Selbstverständlich haben wir alles erobert, wir haben auch die Malaria in Chedera und die Kugeln auf der Wacht für uns erobert." Unsere Gegner sehen oft garnicht, wie sie durch ihre Gegnerschaft zu uns, an ihrer zionistischen Zugehörigkeit rütteln. Sie verneinen die großen Erfolge des Zionismus, weil er durch den jüdischen Arbeiter verwirklicht wurde. Sie verneinen die chaluzi-sche Hingabe, die Opfer an Leben und Arbeit, ohne die das Land nie hätte aufgebaut werden können. In diesen Kreisen dringt allmählich eine sonderbare Ueberzeugung durch: Ein zionistisches Werk wird nicht an seiner Zweckmäßigkeit gemessen, nicht daran, ob es der Verwirklichung des Zionismus hilft, sondern daran, wer es verwirklicht, wem  es zugute kommt.

Gegen die Schichtenideoiogie

Wir führen jetzt in Palästina eine Aktion zugunsten der Ansiedlung deutscher Juden in Erez Jisrael durch. Was geschieht dabei? Fast jede Schicht, fast jeder Wirtschaftskreis im Jischuw stellt an diese Aktion Bedingungen: Wir wollen, daß das Geld, das wir sammeln, für unsere Schicht, für unseren sozialen Kreis verwendet wird. Hätte diese "Schichtenideologie" zur Zeit der Chibbath Zion bestanden, dann hätten die "Chowewe-Zion" nie Chedera 8) aufgebaut. Nach dieser Ideologie hätten sie doch sagen müssen: Das geht doch nicht, daß unsere Gelder, Gelder von Kaufleuten und Händlern, für die Ansiedlung von Bauern verwendet werden. Und damals war zweifellos die Mehrzahl der Juden Händler und nicht Landwirte. Aber diese ersten Zionisten waren noch nicht so raffiniert und sie wußten noch garnicht, daß es Aufgabe des Zionismus ist, in Palästina die jüdische Wirtschaft nach der "bewährten" Schichtung in der Golah wiederherzustellen. Die zionistische Ideologie in den Zeiten von Pinsker wußte, trotzdem sie das Wort Umschichtung noch gar nicht kannte, sehr gut, daß es für das jüdische Volk keine Erlösung von der Golah gibt, wenn es in Palästina nicht eine von Grund auf neue Wirtschaftsschichtung aufbaut. Der Gedanke von der Notwendigkeit der Umwälzung der jüdischen Gesellschaftsschichtung geht wie ein roter Faden durch die ganze zionistische Ideologie; von Pinsker bis Herzl und von Herzl bis Berditschewsky und die neue Arbeiterliteratur im Lande. Den Trägern des heutigen "reinen" Zionismus ist dieser Gedanke verloren gegangen. Statt eine Wirtschaft aufzubauen, die die jüdischen Luftmenschen aller Berufe und Schichten in Arbeit und Siedlung verwurzeln soll, erstrebt man eine Verewigung dieser Schichten in Erez Jisrael. Es ist ein sonderbarer Patriotismus von Kreisen und Berufsinteressen entstanden, der sorgsam darauf bedacht ist, wie man den proportionellen Anteil jeder Luftmenschenschicht in dem neuen Aufbau in Palästina bewahren kann. Ich weiß zwar nicht, ob sich in dem jüdischen Jischuw eine Partei finden wird, die jedem jüdischen Händler in der Diaspora versprechen kann, auch hier seine Händlerexistenz fortführen zu können, aber die zionistische Propaganda wird von manchen Parteien so gehandhabt, als ob sie dieses Versprechen halten könnten.

Ist diese Klasseneigenbrödelei nicht erstaunlich? Wir glauben doch, wir seien ein weises Volk. Gegen wen hetzt man eigentlich diese mittelständischen Juden in der Diaspora? (Es ist nebenbei nicht klar, in welcher Hinsicht sie dem mittleren Stand angehören, ihrem Kapital nach, ihrem Alter oder in ihrer Weltanschauung?) Sie sind doch letzten Endes Väter, und ihre Kinder, wenn sie auch einer anderen Klasse in Erez Jisrael angehören, sind doch schließlich ihre Kinder und sie gehen nach Palästina Wollen wir für einen Augenblick zugeben, daß die Beschuldigung, wir hätten alles erobert, alle "verdrängt", richtig ist? Aber was heißt das? Daß die Jugend, die Kinder ihre Eltern "verdrängt" haben? Schön, soll es so sein. Aber ich kann keinesfalls verstehen, warum der Vater, seiner Klasse wegen, gegen seine Kinder kämpfen soll. Woher kommt diese Klassenmoral zu den jüdischen Eltern? Wir haben immer angenommen, daß in unserem Volke der Familiensinn sehr entwickelt ist. Und plötzlich soll uns ein neuer Vatertyp geboren werden, der nicht für die Zukunft seines Sohnes, der sich mit der Arbeiterkolonisation und dem Arbeiterleben verbunden hat, sorgen will, auch nicht für die Notwendigkeiten des zionistischen Aufbaus, sondern nur für seine Klassengenossen? Nach dieser Ideologie, sollte ein jüdischer Händler in Warschau kein Interesse an seinen Kindern und den Kindern seines Bruders haben, sondern an dem Krämer, der seinen Laden ihm gegenüber hält. Und falls der Aufbau des Landes die Umwandlung der nachbarlichen Krämerexistenz fordert, sollte der Vater über die erfolgreichen Arbeiter und Chaluzim verzweifeln?..

Ein altes jüdisches Sprichwort sagt: "Alle beneidet der Mensch, nur nicht seinen Sohn und seinen Schüler." Jetzt aber sind im Zionismus Kräfte am Werk, die diese Lebensweisheit widerlegen wollen. Out, geben wir zu, diese Söhne sind nicht allzu artige Söhne, aber sie sind doch Erben des jüdischen Mittelstandes; der jüdische Mittelstand hat keine anderen Erben, als diese Söhne, die zur Arbeit hinübergehen; die Verantwortung für das Volk sollte doch lehren, den Mittelstand zum Verständnis der jungen arbeitenden Generation zu bringen. Statt dessen "klärt" man den Mittelstand "auf," er solle mit seinen Söhnen "konkurrieren"...

Ich nehme es nicht auf mich, die psychologischen Quellen dieser zionistischen Degeneration zu erklären. Es scheint mir, daß diese antichaluzische Menachem-Mendel-Ideologie das Unvermögen ihrer Träger ein ernstes kapitalistisches Werk im Lande zu schaffen, offenbart. Aus ihrer Unfähigkeit, sich den Anforderungen des Landes anzupassen, flüchten sie in "den Zionismus der Dummen".

In der Zeit unserer Wanderung in der Wüste, ist bei uns der bekannte Korach erschienen; das ist wahrscheinlich eine symbolische Erscheinung, die jede jüdische Erneuerungsbewegung begleitet. In den Jahren der Zerstörung des jüdischen Staates wußten wir außer vom äußeren Feinde, und dem inneren Parteienstreit, auch von dem bekannten Bar-Kamza, der seine Hand dem Feind reichte, weil man ihn zu einer Mahlzeit, an der er teilnehmen wollte, nicht eingeladen hatte. Diese Ideologien, die sich jetzt im Zionismus herumschlagen, sind eigentlich nur eine moderne Form für eine alte jüdische Erscheinung. Diese Ideologie reitet auf dem Unglück des jüdischen Luftmenschen und will sein Unglück zu einer Apotheose machen.

Die Auslese

Obwohl wir jetzt vor Wahlen stehen, halte ich es für meine Pflicht, etwas zu sagen, was uns sicher keine neuen Stimmen zuführen wird. Es liegt nicht in unserer Macht, es liegt nicht in der Macht des Zionismus, entwurzelte Massen, so wie sie sind, im Lande aufzunehmen. Trotz all unserem Mitleid mit dem Schicksal der zugrundegehenden Juden in der Welt, trotz all unserem Willen, jeden Juden aus der Diaspora zu retten, wissen wir, daß das nicht in unseren Möglichkeiten liegt. Der Zionismus befindet sich vorläufig in einem Stadium, das es uns nicht erlaubt, ein Kriterium der Sentimentalität in unseren Entscheidungen walten zu lassen. Obwohl ich nicht gerne militärische Ausdrücke benutze, habe ich keinen anderen Ausdruck für das, was wir in der nächsten Zeit brauchen: eine "Verwirklichungsarmee". Wir müssen bei, jedem unserer Schritte nicht unser Mitleid, unsere subjektive Sympathie walten lassen, sondern nur vom Standpunkte seiner Nützlichkeit für die Verwirklichung des Zionismus entscheiden.

Wer diesen Standpunkt ganz in sich aufnimmt, wird zu manchen Erscheinungen einen anderen Zugang haben, als es sonst im Straßengespräch üblich ist. Ich werde als Beispiel manches aus der deutschen Alija nehmen. Wahrscheinlich ist die Bedrängnis eines jüdischen Professors in Deutschland, bei dem seine ganze Welt plötzlich zusammengebrochen ist, viel größer als das Leid eines 15- bis 16jährigen Jungen. Aber wenn das jüdische Volk die Gelder hätte, um einen Teil des deutschen Judentums zu uns herüber zu retten, dann würde es zweifellos sagen: dieser jüdische Junge aus Deutschland hat wahrscheinlich nicht soviel Vorzüge der Kultur und vornehmer Persönlichkeit wie der alte Intellektuelle. Aber vom Standpunkt der Notwendigkeit des Landes würden wir 5000 jüdische Kinder aus Deutschland vielen Tausenden von älteren Menschen, die vielleicht jeder für sich sehr wertvoll sind, die aber von Erez Jisrael noch nicht aufgenommen werden können, vorziehen. So wird jeder Zionist, für den der Zionismus mehr als sentimentale Bindung und Interessenkampf ist, entscheiden müssen. Er wird bei jeder Erscheinung: bei der Frage der Alijaauswahl, des nationalen Kapitals, der Industrieentwicklung nur ein Kriterium zulassen: Inwieweit dieser oder ein anderer Schritt die Wachstumsfähigkeit des jüdischen Jischuw in Palästina stärkt.

Ideologie und Tat

Ich möchte einige Worte zur Bewertung der Arbeiterbewegung in der heutigen Situation des Zionismus sagen. Wir sollen eine Bewegung nicht nach ihren Worten, sondern nach ihren Taten beurteilen. Die Soziologie, vom Zeitpunkt ihrer Entstehung, ist eigentlich eine ununterbrochene Bemühung, den Inhalt der gesellschaftlichen Erscheinungen unter dem Wust der schönen Worte und Ideologien, mit denen sie sich verhüllen, zu entdecken. Auch die Kräfte, die im Zionismus tätig sind, wollen wir nicht nach ihren Reden, sondern nach den Aufgaben beurteilen, die sie erfüllen. Ich bagatellisiere keinesfalls die Wichtigkeit der Ideologie für die Tat und ich weiß sehr gut, daß die Ideologie die Taten beeinflußt. Aber da meistenteils zwischen der Ideologie und den Taten eine große Spanne herrscht, bin ich gezwungen, die Bewegung nicht nach ihren Worten, sondern nach ihrem Verhalten zu schätzen. Es scheint mir, wenn die Juden in der Zeit ihres Auszuges aus Aegypten die Tora ideologisch akzeptiert, nicht aber ihr "mit ganzer Seele" gedient hätten, dann würden sie das gelobte Land nie erreicht haben.

Keine Idee wird zur Wirklichkeit, ohne daß sie einen Träger findet, der bereit ist, auf sich die Mühen des Werkes zu nehmen. Auch die zionistische Idee hat von den ersten Tagen der Chibath Zion an ihren Träger gesucht und lange Zeit nicht gefunden. Es waren zwar schon damals einige treue Menschen, es waren einige Juden aus dem alten Jerusalem, die vor mehr als 50 Jahren nach Petach Tikwah gegangen sind, es war der kleine Haufen der Biluim. Aber ein gesellschaftlicher Träger, eine Masse, die ihre zionistische Pflicht nicht nur in einer Spende oder einem Abonnement auf eine Zeitschrift sah, sondern die schwere Aufgabe der körperlichen Arbeit und der inneren Wandlung auf sich genommen hätte, — so einen gesellschaftlichen Träger hatte der Zionismus lange Zeit hindurch nicht. Achad Haam hat diesen Träger unter den gebildeten Bürgern gesucht. Für die "Besten" des Volkes hat er den Orden "B'ne Mosche" geschaffen. Wir wissen, was die Opfer waren, die er von den "B'ne Mosche" gefordert hat (sie waren weit von Chaluziuth entfernt). Wir wissen auch, welche Antwort Achad Haam erhielt. Aus diesem Experiment, das die Geschichte des Zionismus mit viel Romantik umhüllt hat, ist Achad Haam gebrochen herausgegangen. Jahre hindurch hat man den Träger gesucht und nicht gefunden. Nun ist eine neue Generation gekommen, eine Generation ohne Tradition, ohne Form, der man auch manche "Sünden" nachgetragen hat, — wir wollen jetzt über ihre Mängel und Tugenden nicht streiten, — aber diese Generation war die erste, die die Verwirklichung des Zionismus in ihrer ganzen Einfachheit und ihrer ganzen Schwere auf sich genommen hat. Und das waren zum ersten Mal nicht Einzelne, sondern eine Welle, eine gesellschaftliche Kraft. Diese Kraft hat das erste Mal mit dem Zionismus ernst gemacht Sie sprach und handelte - - Eroberung der Arbeit, jüdische Wacht, Erlösung des Bodens, Verwurzelung in der Landwirtschaft, eigene Verantwortung für die Wirtschaft, Selbstarbeit, hebräische Sprache.

Zu diesem letzten Punkt, der hebräischen Sprache, möchte ich noch einiges hinzufügen. Es gibt manche Form des Sprachfanatismus, die dem zionistischen Arbeiter fremd sind, es gibt manchen "radikalen" Hebraisten, mit dem er sich unmöglich zu Tisch setzen wird. Aber wenn die hebräische Sprache eine Massensprache geworden ist, wenn in Erez Jisrael eine lebendige hebräische Literatur entstanden ist — nach allen den wichtigen, aber kurzlebigen Experimenten von Jechiel Michael Pines9) bis zum "Haomer" 10) - so haben wir das dem jüdischen Arbeiter zu verdanken.

In dem Maße, in dem man Parallelen zwischen den gesellschaftlichen Strömungen der verschiedenen Völker ziehen kann, werde ich die Stellung der Arbeiter der 2. Alijah zu den früheren zionistischen Generationen mit dem Verhältnis von zwei Generationen russischer Intellektuellen, zwischen den Menscher der 40er Jahre und den Menschen der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts vergleichen. Es kann sein, daß vom Gesichtspunkt der Geistesfülle die Menschen der 40er Jahre, die Altersgenossen von Turgeniew und Herzen höher standen, als die jungen Leute, die 20 Jahre später "ins Volk" gegangen sind. Aber diese jungen Menschen der Tat,, der Einfachheit, haben erst die Vorarbeit der älteren Generation fruchtbar gemacht. Eine Bewegung, die aus sich nicht eine Generation von harten Verwirklichern gebärt, ist des Namens "Bewegung" unwürdig.

Wahrer und falscher Maximalismus

Es gibt allerlei Zionisten, die ihre Freude darin finden, sich "Maximalisten" zu nennen. Aber ich möchte fragen: bringt ein Mensch uns dem "großen Zionismus" näher, indem er 7mal täglich für einen "großen" Zionismus schwört? Die linke Poale Zion hat z. B. nicht aufgehört, Tag und Nacht das Wort "Arbeiterschaft" zu wiederholen, und was ist ihre tatsächliche Bedeutung für die Errungenschaften der jüdischen Arbeiter in Palästina? Wir haben nie "maximale" zionistische Worte benutzt, — aber wer hat dem Zionismus die erste Siedlung in Transjordanien geschaffen, wer hat Ober-Galiläa verteidigt, wer hat Tel-Chaj und Kfar Gileadi geschaffen?

Das erste Gebot des wirklichen maximalen Zionismus ist der Kampf für die Alija. Wer hat von Kriegsende an den ganzen Schwerpunkt des Zionismus in den Bereich der Alija gebracht? Wer kämpfte für die Alija nicht nur mit der Regierung, sondern auch gegen Freunde und Führer, gegen Weizmann und Brandeis, gegen Sacher 11) und Jabotinski (als er noch in der Exekutive war) ? Hat jemand außer der Arbeiterbewegung Institutionen und Kibbuzim geschaffen, die den Ole als gleichberechtigten Menschen aufnehmen und verwurzeln? Worin äußert sich ein zionistischer Maximalismus? In einer hochtrabenden Resolution für Transjordanien oder in der Bildung einer Kette von Siedlungen, die erst unseren politischen Forderungen eine tatsächliche Macht verleiht?!

Es gibt viele, deren Gewissen es nicht zuläßt zu leugnen, daß wir die Ersten waren, die anstatt eines Zionismus des Wortes den Zionismus des Willens dem jüdischen Volke gegeben haben. Sie geben alles zu, was der jüdische Arbeiter in der Arbeit und Wacht, am hebräischen Kulturwerk und an politischer Tat geleistet hat, aber diese Leute erheben gegen uns eine andere Anklage: "Ihr seid nicht 'monistisch' 12) in Eurer Weltauffassung, Ihr vermengt den Zionismus mit sozialen Menschheitsidealen. Jeder Plantagenbesitzer, der arabische Arbeiter beschäftigt, jeder Spekulant, der mit dem Boden Palästinas Unfug treibt, dem macht man keinen Vorwurf der "Vermengung", der hat sein zionistisches Primat, er ist "monistisch". Aber die Arbeiter, die verehren viele Götter... Ich werde mir erlauben, den Begriff des nationalen Monismus zu untersuchen. Was ist denn eigentlich der Gedanke der jüdischen Erlösung? Ist das eine monistische Idee, die jeder sittlichen und gesellschaftlichen Bewertung bar ist? Der Mann 13), der sich selbst als den Träger des "Monismus" ansieht, hat diesen "Monismus" ungefähr so definiert:

"Der Zionismus ist ein politisches, kolonisatorisches Werk. In seiner Verwirklichung haben wir weder die Gerechtigkeit auf Erden, noch den lieben Gott im Himmel zu achten."

Ich sehe in diesen Worten die klassischste Beschreibung dieses "Monismus". Es gibt keine sittlichen Gesetze, es gibt keine Gerechtigkeit, keine menschliche Kultur und kein jüdisches Geistesgut, es gibt nur ein formelles Prinzip, dem man alles opfert. Es gibt Menschen und Kreise, die die traurige Fähigkeit besitzen, den Inhalt der Bewegung, zu der sie gehören, zu entleeren. Sie ertöten die menschlichen, die kulturellen und sittlichen Kräfte, die zur Entstehung der Bewegung geführt haben, und lassen ihr Ziel als einen seelenlosen Moloch dastehen. Und diesem Moloch, der das Böse vom Guten nicht unterscheidet, lassen sie menschliche Opfer bringen. Ich möchte diesem zionistischen "Monismus" den richtigen Namen geben: nationaler Amoralismus. Ich kenne diese Erscheinung nicht nur in unserem Volke. Das ist eine Sterilisierung der Idee. Man sagt uns: Wenn Ihr monistische, einheitliche Zionisten sein wollt, müßt Ihr den ganzen Ballast des Zionismus von den Zeiten Heß', Pinskers und Herzls wegwerfen, — denn diese waren keine "Monisten", sie haben die jüdische Eigenstaatlichkeit mit den tiefsten Sehnsüchten der kulturellen Menschheit verbunden. Der Gedanke der jüdischen Eigenstaatlichkeit an und für sich, aller moralischen und kulturellen Inhalte entkleidet, fordert eigentlich garnicht Palästina als Heimat und die hebräische Sprache als nationale Sprache. Es gibt doch allerlei andere Territorien und allerlei andere Sprachen, die man national-formal als das Ziel unserer Eigenstaatlichkeit hinstellen könnte. Aber was wird dann aus dieser entleerten Eigenstaatlichkeit noch für den jüdischen Menschen bleiben? Wie kann für diesen Moloch eine jüdische Sehnsucht entstehen?

Totalität der nationalen Idee

Der Gedanke, daß eine große nationale Bewegung gegenüber den Problemen der Gesellschaft, der Wirtschaft und der Kultur gleichgültig sein kann, ist entweder politisches Unwissen, oder bewußter Scharlatanismus. Eine wirkliche nationale Bewegung kann sich nicht damit begnügen, ein Problem des Volkes, — das der Eigenstaatlichkeit, zu lösen. Eine echte nationale Bewegung entwächst einem lebendigen Volke, lebendigen Menschen, die viele Leiden und Zwiespalte haben, und sie fordern von ihr eine Antwort auf ihre Probleme. Der Zionismus muß gleichzeitig eine Antwort sowohl auf den Antisemitismus, als auch auf die ungesunde jüdische Wirtschaft, sowohl auf die Schicksalsfragen der Jugend als auch auf unsere Sprachenlosigkeit geben können. Wir müssen auch der jüdischen Intelligenz, die von ihrem Volke losgelöst wurde, eine organische Verbindung mit der Nation wiedergeben. Der Zionismus kann es sich nicht leisten, dem jüdischen Menschen zu sagen: Für die nationalen Staatsbedürfnisse haben wir eine Medizin, aber für Eure sittliche Zerrissenheit, für Euer Kulturelend, Euer Luftmenschentum haben wir keine Antwort, das gehört nicht zur Wiedergeburt der Nation...

Jede Bewegung der nationalen Befreiung wirkt auf verschiedenen Gebieten. Sie will die Agrarbeziehungen ändern, sie will dem Volke eine entsprechende Verfassung geben, sie will neue Schichten zur Geltung bringen und der Volkskultur neue Quellen erschließen.

Ein "monistischer" Zionismus kann auch ohne einen Bialik bestehen, er braucht den Wiederaufbau des Emek ebenfalls nicht. Wenn der Zionismus "monistisch" wäre und allein auf die jüdische Staatlichkeit schwören würde, dann würde statt des ungeheueren Erneuerungsprozesses des Volkes und des Landes eine elende Karrikatur entstehen.

Etwas aus der Geschichte

Da ich von diesem Podium zu alten Zionisten, spreche, werde ich mir erlauben, mich ein bischen in die Geschichte zurückzuversetzen. Der zionistischen Arbeiterbewegung, der zionistischen Volksbewegung wird von manchen Kreisen der Vorwurf gemacht, daß wir das Primat des Nationalen nicht anerkennen. Man sagt uns mißgestimmt, daß wir eine eigene Krankenkasse, eine eigene Bank, einen Arbeitsnachweis, eine Invalidenkasse usw. hätten. — Ein naiver Mensch könnte denken, daß das Volk Jisrael bereit wäre, uns diese Institutionen von sich aus zu geben, und wir so widerspenstig wären, diese Geschenke nicht anzunehmen, dafür aber unbedingt besondere Institutionen aufbauen wollen. Da ich aber etwas Leidenschaft für Geschichte habe und dieses Gerede, von allen anderen Dingen abgesehen, eine Geschichtsfälschung ist, lege ich Wert darauf, Euch einige Erinnerungen ins Gedächtnis zu rufen.

Im Jahre 1914, wenige Monate vor dem Weltkrieg, wurde durch die zionistische Exekutive eine Kommission ins Land geschickt (Sokolow, Motzkin und Boris Goldberg) 14), um die Probleme der Arbeitsverhältnisse zu klären. Die Auseinandersetzungen in der Kommission und um die Kommission waren sehr langwierig. Damals, vor 20 Jahren, haben die zionistischen Arbeiter Palästinas der Kommission vorgeschlagen, nationale Instanzen für die Regelung der Arbeitsverhältnisse zu schaffen: ein gemeinsames Arbeitsamt, ein Arbeitsgericht, das alle Streitigkeiten entscheiden sollte, und das nach unserem Vorschlag "ein endgültiges Beschlußrecht gegenüber beiden Parteien haben soll". Dieser Vorschlag wurde von dem Vertreter der Kolonisten abgelehnt. Die Tatsache allein, daß eine Streitigkeit zwischen einem Kolonisten und seinen Arbeitern einer nationalen Instanz übertragen wird, schien ihnen damals als etwas Ungeheuerliches. Vielleicht wollt Ihr wissen, wer damals die Vertreter der beiden Seiten waren? Der Vertreter der Arbeiter war ich, der Vertreter der Kolonisten — Mosche Smilanski.

So stand die Frage vor 20 Jahren, und da findet Ihr den Schlüssel zu dem, was später geschehen ist. Aber damit wurde die Geschichte nicht abgeschlossen. In den letzten Jahren haben wir wieder Versuche gemacht, gemeinsame Arbeitsnachweise mit den Kolonisten zu gründen. Manchmal ist es uns gelungen, aber meistens sind unsere Bemühungen gescheitert. Die Kolonisten haben kein Bedürfnis für einen organisierten Arbeitsnachweis gehabt. Für sie war der Arbeitsmarkt (wenn nicht der jüdische, dann der arabische) immer offen. Die Arbeiter konnten aber nicht warten, bis die Kolonisten sich zu einer gemeinsamen nationalen Organisierung der Arbeitsverhältnisse bequemen. Sie konnten ohne Organisierung der Arbeit nicht einen einzigen Tag leben, und so haben sie sich ihre Arbeitsämter geschaffen.

Auch jetzt bemühen sich viele unserer Menschen, die Eroberung der Arbeit für die Juden und ihre gerechte Verteilung — und das sind die wichtigsten Funktionen der Arbeitsämter in den Kolonien teilweise auch auf die Schultern der wohlhabenden Kolonisten zu. übertragen. Der zionistische Arbeiter denkt, es sei doch eine nationale Aufgabe, und nicht die der Arbeiterorganisation allein, sondern alle Schichten des Jischuw müssen die Verantwortung und die Bürde dieser Aufgabe tragen. — Aber die anderen Schichten ziehen sich zurück und wir bleiben mit unseren nationalen Institutionen ganz allein.

Ich möchte die Frage des nationalen Primats seitens der verschiedenen Schichten des Jischuw noch von einem anderen Gesichtspunkt klären. Es gibt eine zentrale zionistische Aufgabe im Lande, die alle Zionisten anerkennen. Zwar läßt sich über die Aufrichtigkeit der Anerkennung bei manchen "Zionisten" vieles sagen, aber niemand wagt es jetzt, öffentlich abzustreiten, daß ohne Eroberung der Arbeit in der jüdischen Wirtschaft für den jüdischen Arbeiter der Aufbau Erez Jisraels unmöglich ist. Und nun möchte ich Euch fragen: Wer hat diese Aufgabe, die erste Aufgabe des zionistischen Primats, in seinem Leben verwirklicht? Ich möchte alle Ehre den zwei oder drei Idealisten unter den Plantagenbesitzern zollen (es sei wieder einmal der unvergessene Jaakow Kroll 15) genannt), die uns unter großen Opfern seit Jahren geholfen haben. Ich möchte auch die Dienste mancher guter Zionisten nicht leugnen, die unsere Front  durch Schrift und Rede unterstützt haben. Aber — und darauf kommt es an — wer stand an der Front? Wer hat sein Leben, die Sicherheit seiner Familie, seine tagtägliche Existenz für die Eroberung der Arbeit gefährdet? Wer war es, der in den Jahren guten Verdienstes in der Stadt, unentwegt in den Kolonien mit ihren Araberlöhnen und ihrer Arbeitslosigkeit verharrte? War jemand an dieser wichtigen Front des nationalen Aufbaus außer der Arbeiterschaft? Darüber können keine Meinungsverschiedenheiten herrschen.

Bündnis der aufbauenden Kräfte im Zionismus

Die Kraft der zionistischen Arbeiterschaft, ihre nationale Hingabe, erweckt Sorge in manchen jüdischen Kreisen. Aus der Angst vor unserer zionistischen Kraft sind sie bereit, den Zionismus auseinanderfallen zu lassen, sind sie bereit, eine Kluft zwischen den Generationen zu schaffen. Diese Kluft ist eine der größten Gefahren, die dem Zionismus drohen. Ich möchte Eure ganze Aufmerksamkeit auf diese Gefahr lenken.

Vor fünfzig, sechzig Jahren herrschte in Palästina der Jischuw der "Chalukka". Er harte große historische Verdienste in der Vergangenheit. Aber als die Menschen der "Bilu" kamen, war er bereits im Niedergang und konnte sie nicht aufnehmen. Er ist ihnen mit Feindseligkeit und vollkommenem Unverständnis begegnet. Der verstorbene Chaim Chissin 16) sagte mir einmal: "Als wir ins Land kamen, waren wir noch viel wilder als Ihr, die Menschen der 2. Alijah." Die Biluim konnten weder hebräisch, noch hatten sie einen Begriff von den historischen Werten des Volkes. Sie waren assimilierte Zöglinge der "Narodnaja  Wolja" 17). Zwischen ihnen und dem alten Jischuw herrschte eine Kluft. Aber es fand sich ein Mensch, Jechiel Michael Pines, der den Biluim zwar auch sehr fern stand, fern in seiner religiösen und kulturellen Weltanschauung, fremd seiner sozialen Herkunft nach. Aber er verstand, daß die Biluim der fruchtbare Kern des Zionismus sind und er hat mit ihnen einen Bund geschlossen. Dieser Bund hat uns Gedera, dieser Bund hat uns die Legende der Bilu gegeben.

Als wir, die Menschen der 2. Alijah, kamen, waren die Juden der "Chalukka" schon nicht mehr wesentlich. Aber die Vertreter der Bilugeneration hatten für die 2. Alijah nicht mehr Verständnis als die Menschen der "Chalukka" zu ihrer Zeit für die Bilu. Ein Mann wie Pines war nicht unter den Biluim, und erst später, als ihr Generations- und Kampfgenosse Chissin aus Europa nach Erez Jisrael zurückkam, hat er die Kette zwischen uns und ihnen teilweise geschaffen. Aus unseren Beziehungen zu Chissin ist Ejn Ganim entstanden. Durch Menschen wie Chissin, Barsilaj, Hillel Jaffé, die geistig zwischen den beiden Alijoth standen, ist etwas Erfahrung der Biluimzeit für uns gerettet worden, und ein dünner Faden zionistischer Kontinuität im Aufbau des Landes hergestellt worden. Aber die Kluft zwischen der ersten und zweiten Alijah ist im wesentlichen bis heute geblieben. Und sie ist eine der tiefen Ursachen vieler Plagen des Jischuw.

In den letzten Jahren der zweiten Alijah ist von der zionistischen Führung Artur Ruppin zu uns gekommen. Das Bündnis zwischen Ruppin und der 2. Alijah hat dem Zionismus die moderne jüdische Landwirtschaft in Palästina gegeben. Dieses Bündnis hat uns die hohe Lehre gegeben, wie man Menschen ohne Kenntnisse, ohne landwirtschaftliche Schulen und mit ungenügenden Mitteln ansiedeln kann. Zu Ruppin sind Ussischkin, Weizmann u. a. hinzugekommen. Zwischen diesen alten Zionisten und uns, der damaligen jungen Generation, waren allerlei Meinungsverschiedenheiten, in sozialer, kultureller und politischer Hinsicht, und warum sind doch diese Menschen — untereinander so verschieden — zu uns gekommen? Es gibt manche, die sagen, diese zionistischen Führer haben sich der Kraft der Arbeiterschaft angebiedert. Diese "Auffassung" ist eine Beleidigung des Heiligsten im Zionismus. Die Besten der führenden Menschen der älteren zionistischen Generation haben mit uns ein Bündnis geschlossen, weil sie verstanden haben, daß ohne die dynamische und aufopfernde Kraft der zionistischen Arbeiterschaft keine Macht im Volke existiert, die Erez Jisrael aufbauen kann. Die Bedeutung dieser Männer liegt darin, daß sie sich, trotz ihrer sozialen Herkunft, trotz ihrer persönlichen Begriffswelt, durch unsere zionistische Hingabe "gefangennehmen" ließen.

Wenn Ihr die Entstehung großer zionistischer Niederlagen analysieren werdet, werdet Ihr in den meisten Fällen, vielleicht, zu Eurer großen Ueberraschung erfahren, daß die tiefsten Ursachen dieser Niederlagen eine Vernachlässigung des Bündnisses zwischen der alten zionistischen Führung und der Arbeiterschaft war. Ich möchte nur zwei Beispiele anführen: Wie Ihr wißt, geht in gewissen Kreisen die Klage um, daß der KKL. von den Arbeitern "beherrscht" wird. Das stolze Wort "Herrschaft" übertreibt etwas den wahren Sachverhalt, aber ich gebe zu, daß wir dort einen gewissen Einfluß haben. Dieser Einfluß, dieses Bündnis mit der Arbeiterschaft, hat die Erwerbungen des Emek, der Haifa-Bay und des Wadi-Chawarith gebracht. Ihr werdet alle zugeben, das waren die entscheidenden Stufen in dem kolonisatorischen Werk  der Nachkriegszeit.

Es gibt aber eine andere finanzielle Institution des Zionismus, die von uns "rein" geblieben ist, um die man hohe Mauern gebaut hat, damit wir von ihr für alle Zeiten fern bleiben, - ich spreche von der Bank, die von der Zionistischen Weltorganisation gegründet worden ist 18). Die Banken sind zugegebenermaßen ein delikates Problem. Aber es lohnt sich, daß wir uns einmal fragen: Was hat diese Bank, die nach den großen Träumen von Herzl gegründet worden ist, für den Zionismus geschaffen? Die Fragestellung allein birgt in sich die Antwort.

Der einzige Weg

Ich fragte zu Beginn meines Referates: Gibt es einen Ausweg aus dem geistigen Zerfall der Zionistischen Bewegung? Ich weiß nicht, ob ich das Recht habe, optimistische Hoffnungen zu verbreiten. Ich will Euch aber mein persönliches Gefühl übermitteln.   —

Ich kannte in meinem Leben in Palästina schwere Prüfungen; vielleicht waren es andere, als die meiner Kameraden. Die schweren Tage vom August 1929 waren grausam, aber sie bedeuteten für mich keine Erschütterung meines zionistischen Glaubens. Ich habe die Unruhen vom Mai 1921 erlebt und ich wußte, was uns erwartet.

Ich wurde nicht so einfach zu einem gläubigen Zionisten. Ich habe meinen Glauben durch Verzweiflung, Ketzerei und Skepsis erobert. Aber wenn Tage gekommen sind, in denen mein zionistischer Glaube eine schwere Prüfung zu bestehen hatte, so waren es diese Tage. Für mich war der Zionismus nie ein formales Ziel einer Staatsbildung. Für mich war der Zionismus eine hohe menschliche Aufgabe. Er war bei mir verbunden mit dem Glauben an die Heiligkeit des Lebens eines  Volkes  und  des  Lebens  eines  jeden  Menschen.

Für mich ist der Zionismus eine Bewegung, die den ganzen jüdischen Menschen erziehen will, — zur Arbeit, zur Freilegung seines Schöpfertums, zur Besinnung auf seine Würde; aus der Erneuerung eines jeden Juden resultierte für mich die Erlösung des Volkes. Der Zionismus war für mich verbunden mit dem Willen zur Freiheit der Völker und zu einem Frieden unter ihnen. —

In der Zionistischen Bewegung, die ich immer als eine sittliche, menschliche Bewegung empfunden habe, und die nur als eine solche Bewegung verwirklicht werden kann, ist in diesen Tagen etwas Ungeheuerliches geschehen, und solange die gesamte zionistische Bewegung sich nicht innerlich davon befreit hat, was zu diesem schrecklichen Ereignis in jener dunklen Nacht am Rande von Tel-Awiw geschehen ist, habe ich keine Worte des Trostes für uns.

Ich weiß nicht genau, welches der Weg ist, den der Zionismus gehen muß, damit die Träume von Herzl keine Träume bleiben, damit die ungeheuren Opfer, die wir in Erez Jisrael gebracht haben, von dem ersten Arbeiter, der auf der Wacht gefallen ist, bis zu Chaim Arlosoroff, nicht sinnlose Opfer bleiben. Nur als eine progressive Menschheitsbewegung, nur als eine Bewegung in Schöpfung und Frieden, als eine Bewegung, die sich auf die organisierte, zusammengeschweißte Arbeiterschaft stützt, kann der Zionismus sein Ziel erreichen. Wie in alten Zeiten, aber in ganz anderem Ausmaße tut's Not:

Ein Bündnis aller schöpferischen Kreise im Zionismus mit dem arbeitenden Erez Jisrael.

Anmerkungen:
1) Brith Rischonim ist eine Vereinigung zionistischer Veteranen in Palästina. Deutsch: Bund der Ersten. Dem Brith Rischonim kann nur derjenige angehören, der mindestens 25 Jahre  zionistischer Arbeit hinter sich hat.
2)  Eine Anspielung auf den Tod Arlosoroffs.
3) Kolonialbank — Jewish Colonial Trust, I. C. T. — hat ihre Zentrale in London. Die Anglo-Palestine-Bank in Erez Jisrael ist eigentlich eine Zweigniederlassung der I. C. T.
4) B. Kaznelson spricht hier über die Krise 1926—1927.
5)  Ozar  Hajischuw,  der  Fond des Jischuw,  wurde am Beginn der Krise 1926 vom Waad  Leumi begründet.
6) Knesseth Israel, die "Gemeinde Jisrael", das ist der offizielle Name für die autonome Verwaltung des jüdischen Jischuw in Palästina.
7) Dr. H. Glücksohn ist Redakteur der Tageszeitung "Haarez", einer allgemein zionistischen Zeitung.
8) Chedera ist eine der ältesten Kolonien in Palästina. Von den Bilium begründet, von den Chowewe Zion finanziell unterstützt.
9) Jechiel Michael Pines — bekannter Schriftsteller in dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Aus orthodoxen Kreisen ist er zum Zionismus gekommen. Seit den 70er Jahren des vor. Jahrhunderts in Palästina. Freund der Biluim.
10) Eine hebräische Zeitschrift, 1909 von S. Ben-Zion in Palästina herausgegeben.
11) Sacher, Mitglied der Zionistischen Exekutive in den Jahren 1927-1929. Ein bekannter  englischer  Zionist.
12) Monistisch   =   einheitlich.
13) B. Kaznelson meint hier Jabotinski.
14) B. Goldberg — ein seinerzeit bekannter russischer Zionist.
15) Ein alter Kolonist aus Petach-Tikwa — hat immer, manchmal als einziger in der Kolonie — nur jüdische Arbeiter beschäftigt.
16) Chaim Chissin war ein Mitglied der ersten "Bilu"-Gruppe, die 1891 ins Land gekommen ist, — später Arzt und Arbeiterfreund.
17) Eine russische Bewegung — des "ins-Volk-Gehens" in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts.
18") Die Rede ist hier von dem Jewish Colonial Trust — J. C. T. — in London; die Anglo-Palestine Bank in Erez-Jisrael ist ein Zweigunternehmen der J. C. T.

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hagalil.com 10-05-07

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