Die israelische Linke begeht Selbstmord
Von Tanya Reinhart
Unserer politischen Debatte nach zu urteilen, bedeutet
Linke/Linker sein heutzutage, Scharon zu unterstützen. Selbst wenn seine
Regierung erneut beschließt, die Evakuierung der illegalen Außenposten auf
unbestimmte Zeit zu verschieben, werden die Pundits erklären, allein die
Tatsache, dass er die Sache in seiner Regierung debattieren lässt, zeigt,
wie ernst es ihm damit ist. Scharon werde zuerst Gaza evakuieren, sagen die
Pundits, dann die Außenposten - schließlich vielleicht sogar die Westbank.
Dass Scharon die Siedlungen tatsächlich auflösen wird, daran glauben in
erster Linie die linken Parteien. Aber warum? Scharon ist als einer bekannt,
der nicht immer die Wahrheit sagt. Zur Zeit des Libanon-Kriegs gelang es
ihm, seine Pläne selbst vor dem damaligen israelischen Premier Menachem
Begin geheim zu halten. Ein Versprechen abzugeben und es anschließend zu
brechen - für Scharon kein Problem. Seit drei Jahren verspricht er den USA,
zumindest jene Außenposten umgehend zu räumen, die während seiner Amtszeit
als Premier entstanden. Aber was soll's? Er kann jederzeit eine neue
Selbstverpflichtung vorschlagen, die die Umsetzung einer früheren
hinauszögert. Warum sollte es mit der Gaza-"Abkopplung" anders sein?
Die Rechte und die Linke sind sich einig: Scharon hat sich geändert. Eine in
psychologischer Hinsicht recht interessante Erklärung. Aber bestätigt die
Faktenlage diese Erklärung? Derzeit fällt es wesentlich leichter, sich
verschiedene Szenarien vorzustellen, die darauf hinauslaufen, dass die
Siedlungen im Juli nicht geräumt werden - als umgekehrt. Betrachten wir uns
zum Beispiel die Problematik der zu Evakuierenden - ein echtes Problem. Die
jüdischen Siedler im Gazastreifen gingen dorthin, weil es die Regierung
Israels so wollte. Für diese furchtbare Dummheit müssen sie nun entschädigt
werden, um sich ein neues Leben aufbauen zu können. Eine Regierung, der es
ernst wäre mit der Evakuierung, hätte diesen Leuten bereits Kompensation
gezahlt, damit sie gehen, bevor es zur Räumung kommt. Als im Jahr 1982 Yamit
geräumt wurde, bekam die überwiegende Mehrheit der Bewohner ihre
Kompensationszahlungen gleich im voraus und verließ Yamit, bevor es zur
Räumung kam. Die Konfrontationen in Yamit gingen von Siedleraktivisten von
außerhalb aus. Mit solchen Leuten ist jedoch leichter fertig zu werden als
mit Familien, die tatsächlich vor Ort leben. Laut Yonatan Bassi, Leiter der
Disengagement Administration, haben über die Hälfte der jetzigen jüdischen
Siedler im Gazastreifen ihre Bereitschaft bekundet, den Streifen zu
verlassen (1). Warum erleichtert ihnen Scharon nicht die schnelle Abreise?
Könnte es sein, dass er will, dass wir beim ersten Räumungsversuch Bilder
von Familien mit Kindern sehen, deren Welt zerstört wird? Sollen wir mit
ihnen fühlen und zu der Einsicht kommen, dass eine Räumung schlichtweg
unmöglich ist?
Warum wird der Haushalt verschleppt? Die rechten Gegner des Haushalts
fordern ein Referendum. Die meisten im Siedler-Lager, der Mainstream, ist
nicht daran interessiert, mit der israelischen Gesellschaft komplett zu
brechen. Ihre Führer sagen, wir werden die Entscheidung (eines Referendums)
akzeptieren - aber nur, falls außer Zweifel steht, dass es der Wille der
Mehrheit ist. Natürlich haben die Rebellen im Likud ihre eigenen Ziele, die
sie dieser Forderung aufpfropfen. Aber genau bei diesem Thema wären sie
leicht zu packen. Man könnte ihren Bluff entlarven, indem man ihnen gibt,
was sie fordern. Laut Umfragen befürwortet eine stabile und entschlossene
Mehrheit - 60 bis 70 Prozent - die Räumung Gazas. Selbst in einer Umfrage,
die wenige Tage nach dem Terroranschlag auf den Stage Club in Tel Aviv
durchgeführt wurde, sagten 66 Prozent, wenn heute der Tag des Referendums
wäre, würde ich mit 'ja' stimmen (2). Der Abkopplungsplan wird ein
Referendum überstehen. Das ist selbst den Rechten bewusst. Warum ist Scharon
folglich gegen ein solches Referendum? Will er am Ende gar nicht, dass die
Siedler einen Kompromiss eingehen und den Willen der Mehrheit akzeptieren?
Vielleicht befürchtet Scharon bei einem Referendums-Ja zum
Räumungsbeschluss, dass er diesen früher oder später umsetzen muss?
Was bleibt, ist die Hoffnung, Scharon habe sich geändert. Im Namen dieser
Hoffnung stellen sich sämtliche linke Parteien gehorsamst in einer Linie
hinter Scharon auf. Dies gilt nicht nur für die Arbeitspartei - die bereit
wäre, in jeder Regierung mitzumachen, selbst mit "Gandhi"* an der Spitze -,
sondern auch für Hadash** und Yahad. Was Scharon vorlegt, ist ein Haushalt,
der raubt und plündert, der tiefe Einschnitte in die verbliebenen Reste
unseres öffentlichen Sektors vorsieht. Und was machen die linken Parteien?
Sie sagen, wir müssen Scharon helfen, den Haushalt durchzudrücken,
schließlich sagt Scharon, er werde die Siedlungen räumen. Vor einem Jahr
demonstrierten 100 000 Linke für einen Rückzug aus Gaza. Bei der
Demonstration diese Woche sind 90 000 dieser 100 000 daheim geblieben.
Könnte es sein, dass viele im Innersten ihres Herzens begreifen, dass man
sie betrügt? Die israelische Linke hat sich für Selbstmord entschieden. Sie
fühlt sich nicht mehr dem Wählerwillen sondern nur noch Scharon
verpflichtet.
Aus dem Hebräischen ins Englische von Mark Marshall
*'Gandhi' war der ironische Spitzname des israelischen
Tourismusministers Rehavam Ze’evi, der 2001 einem Attentat zum Opfer fiel.
Der Ex-General und Politiker Ze’evi hatte den Ruf eines extremen
Nationalisten und antiarabischen Chauvinisten. Er setzte sich offen für den
'Transfer' ein. Die derzeitige Regierung aus Likud und Arbeitspartei
beschloss kürzlich, Ze'evi einen nationalen Gedenktag zu widmen, siehe
Rabin. (Mark Marshall)
** Yahad ist die moderat zionistische Partei unter Yossi Beilin, sie tritt
für eine Zwei-Staaten-Lösung ein. Hadash ist die (jüdisch-arabische)
Kommunistische Partei Israels unter Muhammad Brakeh. Sie ist nicht
zionistisch. (Mark Marshall)
(1) "Rund 800 der 1700 Familien, die in (der jüdischen
Siedlung) Gush Katif und im nördlichen Samaria leben, haben bereits ihre
prinzipielle Bereitschaft erklärt, im Rahmen des Abkopplungsplans ihre
Häuser zu verlassen und über finanzielle Entschädigungen zu verhandeln, so
Yonatan Bassi, Leiter der Disengagement Administration. Was die restlichen
900 Familien betrifft, glaubt Bassi (...) dass (nur) 300 Familien - der
harte Kern der Siedler, die gegen die Evakuierung sind -, sich weigern
werden, von selbst zu gehen" (Gideon Alon, Haretz vom 2. März 2005).
(2) "In den israelischen Medien finden sich zahlreiche Informationen über
die Frustration der Siedler im Gazastreifen. Sie haben das Gefühl, die
israelische Regierung lasse sie im Dunkeln. Alex Fishman interviewte Itzick
Ilia, den stellvertretenden Bürgermeister des Regionalrats der Siedlungen im
Gazastreifen. Ilia behauptet, er repräsentiere zwischen 70 und 80 Prozent
derjenigen Siedler, die bereit sind abzuziehen. Er spricht über eine
Versammlung, in der “die Leute ihr Probleme herausließen... Die Leute
weinten und brüllten. Niemand redet mit ihnen. Es gibt neue gesetzliche
Regelungen, die im Internet auftauchen, aber die Leute wissen noch nicht
mal, welche Kompensationsansprüche sie genau haben." (Wochenendbeilage der
Yediot Aharonot vom 18. März 2005)
Yediot Aharonot / ZNet 25.03.2005,
Übersetzt von: Andrea Noll
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10-05-07 |