hebraeisch.israel-life.de / israel-tourismus.de / nahost-politik.de / zionismus.info
Judentum und Israel
haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

 

Briefe von Henrietta Szold

Jerusalem, den 13. März 1921

Ich erlebe das große Abenteuer meines Lebens. Einerseits macht mich dieses Abenteuer jünger, andererseits älter. Meine Schwestern nannten mich gewöhnlich "die ewig Gestrige", weil ich in meinen Wegen festgefahren war und ungern meine Gewohnheiten änderte. Ich blieb ans Haus gebunden wie eine Katze. Ich denke, selbst sie –Schwestern sind sprichwörtlich harte Kritiker- würden meine Anpassungsfähigkeit eingestehen, wenn sie sehen würden, wie ich mich an die neue Arbeit und an die neuen Bedingungen anpasse. Würde es nicht genügen, wenn ich in diesen späteren Tagen meines Lebens ein Stück medizinisch-rekonstruktiver Arbeit durchführte? Wie verhält es sich mit Korrekturlesen, dem Erstellen von Verzeichnissen und dem Redigieren – von was? Von jüdischen Büchern! Wenn ich alleine bin –was nicht häufig geschieht- lache ich laut. Es erscheint mir ausgesprochen lustig, in Jerusalem die medizinische Organisation vorzunehmen. Dies ist ein Beweis für Anpassungsfähigkeit. Und was denkst Du über meinen Ritt auf einem Eselsrücken hinauf auf den steilsten, mit Steinen übersäten Berg? Ich bin so stolz auf diese Heldentat, dass ich nicht aufhören kann, darüber zu reden. In der Regel vergesse ich die Tatsache zu erwähnen, dass der Esel ein liebes, intelligentes Tier war, das überhaupt nicht geführt werden musste.

Doch alles in allem sind die Ärzte der amerikanischen zionistischen medizinischen Einheit auf der einen Seite und der Esel, der seinen Weg zwischen Felsbrocken, Steinen und Kieseln suchte, auf der anderen Seite nur Nebensächlichkeiten. (Übrigens gebe ich mich manchmal dem lästerlichen Gedanken hin, dass es keinen großen Unterschied zwischen den beiden Seiten geben würde, wäre die allgemein verbreitete Auffassung von Eseln korrekt – wobei diese Auffassung nicht korrekt ist.) Die wirkliche Hauptsache ist das Spektrum menschlicher Emotionen und Reaktionen, das zwischen diesen beiden Enden liegt. Und dieses ist schwer zu beschreiben. Es gibt so viele Aspekte des Lebens, die gemeinsam das Gesamte bilden: die britische Regierung, die innere Arbeits- und Lebenskraft der jüdischen Gemeinschaft, ihre Beziehung zur Regierung und zu anderen Gemeinschaften, die Einwanderungsbewegung, die religiöse Situation, die politischen Parteien und vieles mehr.

Nach all diesen Monaten haben sich meine Eindrücke noch nicht zu einem Gesamtbild zusammengefügt. Ein Grund für diese Trägheit mag sein, dass ich den Kontakt zu allgemeinen Standards verloren habe. Kannst Du glauben, dass ich keine Tageszeitung gelesen habe seit ich Amerika verlassen habe? Somit kann ich nicht beurteilen, was typisch palästinensisch ist, was die Mandatsregierung charakterisiert, was unverkennbar jüdisch ist und wie die allgemeine Reaktion auf den Krieg aussieht.

Ich weiß genau, dass der Kampf heftig, offen und unverhohlen stattfindet. Es gibt hier nicht das Grauen wie in Osteuropa. Das Leben hier ist typisch kolonial und noch weit entfernt von der "Pittsburgh Platform", um es einmal so auszudrücken. Die Sikh-Soldaten sind nicht das einzige Element, das einen an Indien und Kipling erinnert. Wenn über hundert und zwanzig Jahren die Juden eine Heimat besitzen, die sie für sich selbst durch körperliche und geistige Arbeit erobert haben – was wird dies für ein Zeugnis ihrer großartigeren Qualitäten sein! Und ich glaube immer noch, dass die Eroberung möglich ist, auch wenn dies erst nach der langen Zeitspanne, die im Ausdruck "über hundert und zwanzig Jahren" angedeutet wird, erfolgen wird.

Die Juden sind bereit zu arbeiten, und sie arbeiten. Unter all meinen neuen, belebenden Erfahrungen kann hinsichtlich der Außergewöhnlichkeit keine mit derjenigen verglichen werden, die ich in jüdischen Straßenarbeiter-Lagern, in den Arbeitergruppen der Chalutzim, der Pioniere, machte – der jungen Männer und Frauen aus Zentral- und Osteuropa, die sich jahrelang durch das Erlernen der Sprache und der handwerklichen Arbeit vorbereitet haben, um Palästina aufzubauen. Die Lager sind voll von Organisationsfehlern und die Arbeiter haben Charakterschwächen, doch die Bewegung insgesamt ist ein Phänomen, das einem Wunder gleicht.

Und das Land? Es ist auch ein Wunder. Voller Fehler, wie die Lager und die Arbeiter, doch so wunderschön. Es muss auch erobert werden, seine Steine, sein Klima, seine Sümpfe. Doch dieser Kampf ist es wert. So wert! Vor vier Wochen wurde ich aus geschäftlichen Gründen nach Galiläa geschickt. Es regnete. Es regnete die ganze Woche, in der ich unterwegs war. Doch weder Wolken noch Nebel noch riesige Wolkenbrüche noch schlechte Straßen konnten die Schönheit des Landes in seinem Frühlingskleid verschleiern.

Die medizinische Einheit vollbringt eine erstklassige Arbeit. Sie ist auch voller Fehler und Mängel, und die Menschen, die den Amerikanismus der Einheit übel nehmen, kritisieren sie ohne Mitleid. Doch sie ist wertvoll.

Und ich selbst? Ich fühle mich wohl. Sophia Berger bekam ein Haus am Stadtrand von Jerusalem. Sein Olivenbaumgarten, in dem auch verstreute Mandelbäume stehen, blickt auf den Ölberg. Unser kleines Haus ist ein Zuhause, das uns lieb und teuer ist. Meiner Meinung nach wäre es perfekt wenn es mit einer Dampfheizung ausgerüstet werden könnte. Aus der Ferne betrachtet vergisst man, dass Jerusalem auf dem Gipfel eines Berges thront und dass es dort kalt ist. Unser kleiner Kerosinofen muss umarmt werden, wenn man in einer kalten Winternacht in einem Haus mit hoher Decke und Steinfußboden etwas Wärme spüren möchte. Es wundert einen nicht, dass Teppiche aus dem Orient kommen. Ich frage mich nur, ob man einem einzigen dieser Teppiche erlauben wird, das Land zu verlassen. Denn sie werden hier wirklich dringend gebraucht.

Übersetzung von Daniela Marcus

Zurück
Zurück zur Übersicht

hagalil.com 10-05-07

hagalil.com
Search haGalil
e-Postkarten


DE-Titel
US-Titel

Books

Spenden Sie mit PayPal - schnell, kostenlos und sicher!

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2006 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved