Sinn und Unsinn der Zionismuskritik
Max Brym
Freier Journalist, München
Weit verbreitet ist die Kritik am Zionismus. Dem
Zionismus wird unterstellt, eine rassistische extrem nationalistische
Bewegung zu sein. Viele sogenannte Linke dreschen angesichts der aktuellen
Ereignisse in Israel mit der Begrifflichkeit Zionismus um sich. Einige
entblöden sich nicht dem Zionismus faschistoide Züge anzuheften.
Der Zionismus ist, wenn es nach vielen deutschen
„linksstehenden“ Menschen geht, eine reaktionäre Bewegung. Völlig vergessen
wird in diesem Zusammenhang die Dialektik, die ein undifferenziertes
Schwarz-Weiß-Schema bekanntlich ausschließt.
Der Autor dieser Zeilen ist jemand, der in dieser Frage an
Marx festhält, jener kritisierte bekanntlich Ferdinand Lassalle aufgrund
seiner Einschätzung wonach es sich bei den Junkern und dem deutschen
Bürgertum um „eine einheitlich reaktionäre Masse“ handelt. Marx
differenzierte untersuchte Dinge konkret, was ihn positiv unterschied von
dem heutigen Zionismuskritiker.
Der „linke“ Zeitgeist schlägt auf den Zionismus ein,
ohne zu wissen, worum es sich dabei eigentliche handelt. Es dürfte nur
bekannt sein, daß sich hinter dem Zionismus Juden verbergen. Diese sind also
eine „reaktionäre Masse“ eine genaue historische und aktuelle
Untersuchung, ist für den bundesdeutschen „Linken“ unnötig. Dem Autor dieser
Zeilen geht es darum, eine vernünftige Debatte in Gang zu bringen.
Deshalb wird der Versuch gewagt, in aller kürze einige Fakten zu vermitteln
um der unsäglichen antizionistischen Schaumschlägerei zu begegnen.
Eine Positionierung für die eine oder andere zionistische Richtung wird
in diesem Artikel nicht zu finden sein.
Die Entstehung des Zionismus
Die Entstehung des Zionismus kann nicht
begriffen werden, ohne den Antisemitismus in Betracht zu ziehen. Das
Scheitern der Assimilation der Juden ist eine historische Tatsache. Der
Freiheitsgedanke der bürgerlichen Aufklärung, hatte für die Juden
bereits einige problematische Haken, so erklärte der Fürst Clemont Tonnerre
in der französischen Nationalversammlung 1789 „man gewähre den Juden alles
als Individuen – nichts aber als Nation“.
Die Anhänger der bürgerlichen Aufklärung
machten sich diesen Spruch bewußt oder unbewußt zu Eigen darunter auch Moses
Heß. Dessen Grabstein im Rheinland ziert der Spruch „Vater der deutschen
Sozialdemokratie“. Der Jugendfreund von Marx entwickelte sich
allerdings in seinen späteren Jahren zum jüdischen Patrioten, und verfaßte
1862 die Schrift „Rom und Jerusalem“. Der frustrierte Heß formulierte in dem
Buch u.a. „Die Deutschen hassen weniger die Religion der Juden, als ihre
Rasse, weniger ihren eigentümlichen Glauben, als ihre eigentümlichen Nasen.“
(Rom und Jerusalem, S. 25).
Der aufgeklärte Anhänger der Assimilation
Theodor Herzl, erlebte Mitte der 90-er Jahre des vorletzten Jahrhunderts
einen doppelbündigen Schock. Der in Wien lebende Herzl sah den Aufstieg des
Antisemiten Karl Lueger zum Bürgermeister von Wien. Zur selben Zeit
verfolgte er als Journalist den unsäglichen Dreyfus-Prozeß in Frankreich.
Die ersten Schriften Herzls sind Ausdruck der Verzweiflung über das
Scheitern der Integration der Juden in die bestehenden bürgerlichen
Gesellschaften.
Im Oktober 1894 verfaßte er das Stück „Das
neue Ghetto“. „Das neue Ghetto“ war nichts anderes als die Kritik eines
assimilierten Juden an der Assimilation. In dem Stück kritisierte Herzl sich
in Wirklichkeit selbst, denn noch im Jahr 1894 verließ der Wiener
Oberrabbiner die Wohnung Herzls, als er in jener einen Weihnachtsbaum
entdeckte. Das bekannteste Werk von Herzl wurde 1896 in Wien publiziert
unter dem Titel „Der Judenstaat,
Versuch einer modernen Lösung der jüdischen Frage“. Wer das Werk
liest, wird keine einzige rassistische Passage finden. Eher eine nüchterne
Gebrauchsanleitung zum Aufbau eines Staates. Die Schrift ist im wesentlichen
pragmatischer Natur, die meisten Kapitelüberschriften haben
zweckorientierten Charakter, sie tragen Namen wie „Immobiliengeschäft“, „Der
Landkauf“, „Arbeiterwohnungen“, „Arbeitshilfe“ usw.
Das problematische an Herzls Schrift ist,
dass er sich das damalige Palästina als „ein Land ohne Volk, für ein Volk
ohne Land“ vorstellt. Dies ganz im Gegensatz zu Achad haAm, einem
Kulturzionisten aus Odessa. Jener nahm die arabische Bevölkerung von Anfang
an wahr und galt zur damaligen Zeit als Hauptrivale Theodor Herzls. Herzl
nahm als Kind seiner Zeit, der Zeit des Kolonialismus die Ansprüche der
eingesessenen Bevölkerung nur teilweise zur Kenntnis. Dort wo er die
einheimische Bevölkerung entdeckte, findet sich kein chauvinistisches oder
rassistisches Wort. Zum Beleg: „Und fügt es sich, daß auch anders Gläubige,
anders nationale unter uns wohnen, so werden wir ihnen einen ehrenvollen
Schutz und die Rechtsfreiheit gewähren.“ (Herzl, Gesammelte Werke, Bd. 1, S.
95).
Sein Gesellschaftsmodell beruht keinesfalls
auf dem Modell des klassischen europäischen Nationalstaates, sondern er
orientierte auf einem freiwilligen Zusammenschluß aller daran interessierten
Personen. Herzl ging es im wesentlichen um die Rettung der Juden auf
bürgerlicher Grundlage, im teilweisen Widerspruch zu den hauptsächlich aus
Rußland stammenden Kulturzionisten. Jenen ging es nicht nur um die Rettung
der Juden, sondern um die Rettung des Judentums.
Die zionistische Bewegung hatte lange vor
Herzl in Rußland eine Massenbasis gefunden aufgrund der Progrome nach dem
Attentat auf Zar Alexander 1881. Im Jahr 1882 schrieb der bis dato
assimilierte jüdische Arzt Leo Pinsker das Buch „Autoemanzipation“. Das Buch
spiegelt den Geschichtspessimismus und die Verzweiflung des Autors in Sachen
„Emanzipationsmöglichkeit“ wieder. Die erste große Auswanderungswelle nach
Palästina von Juden erfolgte nach den Progromen in Rußland ab dem Jahr 1881.
Die Differenziertheiten im Zionismus
Es besteht hier nicht die Möglichkeit die gesamte
zionistische Literatur und die politische Zersplitterung des Zionismus
nachzuzeichnen. Die Darstellung kann nur methodische Hinweise vermitteln um
den Themenkomplex zu erfassen. Vieles ist von daher kurz gefasst und der
Schreiber dieses Artikels ist sich des Risikos, divers interpretiert zu
werden, durchaus bewußt. Dennoch der Versuch in aller Kürze den Zionismus zu
unterteilen.
Es gab liberale Zionisten, religiöse Zionisten,
sozialistische Zionisten und die revisionistischen Zionisten. Zu den
allgemeinen oder liberalen Zionisten sind Personen wie Herzl, Weizmann oder
Nahum Goldmann zu rechnen. Die „sozialistischen“ Zionisten, die die Partei
Poalei Zion (Arbeiter Zions) gründeten, waren die bestimmende Kraft unter
den Juden in Palästina ab der zweiten Einwanderungswelle 1905 aus Rußland.
Für diese Strömung stehen Namen, wie Syrkin, Ber Borochov und Berl
Katznelson. Diese Strömung hatte als ideologische Grundlage, die Schaffung
eines jüdisch sozialistischen Staates, um im Zuge der sozialistischen
Weltrevolution eine normale sozialistische Nation unter anderen bilden zu
könnten. Sie lehnten die Zusammenarbeit mit jüdischen Kapitalisten aus der
Diaspora ab, die Grund und Boden von arabischen Großgrundbesitzern erwarben,
die meist in Beirut oder Paris lebten, weil sie die Unterwerfung unter das
Profitstreben des jüdischen Kapitalisten negierten. So ist die Entstehung
der Kibbuzim zu erklären. Die Crux an der Ideologie der „sozialistischen“
Zionisten, war dass sie von der Wiedereroberung der Arbeit und des Bodens
bezogen auf die Juden ausgingen. Von daher integrierten sie keine
Palästinenser in ihre Projekte, dennoch ist anfangs noch vom gemeinsamen
Klassenkampf mit der arabischen Bevölkerung gesprochen und geschrieben
worden. Die „sozialistischen“ Zionisten haben durchaus unfruchtbares Land
fruchtbar gemacht. Demzufolge etwas entwickelt woran kein „Kapitalist“
oder „Spekulant“ interessiert war.
Die religiösen Zionisten bildeten zu Beginn des Zionismus
eine kleine Minderheit. Bekanntlich sagt die jüdische Orthodoxie, daß das
Land Israel nur von Gott kommen könne. Ein kleiner Teil von religiösen Juden
unterstützte anfangs den Zionismus als sogenannte Vorform der göttlichen
Verheißung. Allerdings konnten sie wenig mit den „sozialistischen“ Zionisten
und mit Theodor Herzl anfangen, der in seinen Schriften „Die Religion in die
Synagogen verbannen wollte“.
Eine andere Gruppe waren die Zionisten-Revisionisten um
Jabotinsky, jene spalteten sich 1929 von der Hauptströmung des Zionismus ab.
Nachdem die zionistischen Weltkongresse 1921, 1925 und 1929 Resolutionen
annahmen zur Verständigung und zur Zusammenarbeit mit den Arabern.
Jabotinsky schloß eine Verständigung mit den, in dem Gebiet lebenden
Palästinensern prinzipiell aus.
Eine völlig anders geartete Position hatte die
Strömung um Martin Buber, die von einem binationalen Gebilde in der Region
träumte. Sie unterbreiteten den arabischen Führern zig Angebote zur
Zusammenarbeit, die stets unbeantwortet blieben. Zu dem von Buber
inspirierten „Haus des Friedens“ bekannte sich auch Dr. Arthur Ruppin, der
in Israel bis heute als Vater der Siedlungsbewegung gilt. Jener schrieb in
seinem Buch „Soziologie der Juden“ von 1931 folgendes: „Auf den
zionistischen Kongressen von 1921, 1925 und 1929 ist der Wusch nach
Zusammenarbeit mit den Arabern ausgesprochen und anerkannt worden, dass in
Palästina keine Nationalität über die andere herrschen darf.“ Er schrieb von
einem Staatswesen, „in dem Juden und Araber als zwei gleichberechtigte
Nationalitäten nebeneinander leben sollten“. Er nannte dies den binationalen
Charakter Palästinas. Auf diese Gedanken ließen sich weder die arabischen
feudalen Führer, noch die zionistischen Revisionisten um Jabotinsky ein.
Resümee
Die methodische Untergliederung der zionistischen Bewegung
und die nötige Differenziertheit ist unabdingbar, um die heute in Israel
bestehende Lage zu begreifen. Ein Hau-Drauf-Antizionismus ist eine Phrase,
die gemeingefährlich ist. Gefährlich deshalb weil das Hauptanliegen des
historischen Zionismus, einen jüdischen Staat mit allen Rechten für die dort
lebenden Minderheiten zu schaffen abgelehnt wird. Damit wird das
Existenzrecht Israels in Frage gestellt.
Der prinzipielle Antizionist ist jemand, der das
Selbstbestimmungsrecht der Israelis ignoriert und stattdessen nur das
Selbstbestimmungsrecht für die Palästinenser gelten lässt. Statt zu
erkennen, es gibt die Realität Israel, es gibt aber auch die Notwendigkeit
den Palästinensern ihre Rechte zu gewähren, was unter den momentanen
Bedingungen nur heißen kann: "Israel – Palästina zwei Staaten ein Frieden".
Die Diskussion über den Zionismus hat in Seminaren stattzufinden und
wissenschaftlich auch die Probleme der Bewegung in Ihrem historischen Rahmen
zu analysieren.
Keinesfalls darf eine hirn- und kenntnislose
antizionistische Agitation auf der Straße hingenommen werden. Denn häufig
ist dies aufgrund des Kenntnisstandes der selbsterklärten deutschen
„Antizionisten“ nichts anderes als Antisemitismus.
hagalil.com / 06-06-02
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