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Judentum und Israel
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Grundlagentexte zum Zionismus
ALTNEULAND - Der utopische Roman von Theodor Herzl

 

ERSTES BUCH:
Ein gebildeter und verzweifelter junger Mann

Fünftes Kapitel (b)

Im Hafen von Triest schaukelte sich die schmucke Jacht Mr. Kingscourts auf den Wassern. Die beiden machten noch ihre letzten Einkäufe für die lange Reise, und eines hellen Dezembertages lichteten sie die Anker und steuerten südwärts, ostwärts. Friedrich wäre wohl unter anderen Umstanden von der Meeresfreiheit tief beglückt gewesen; so aber verdankte er der sonnigen Fahrt nur eine geringe Erleichterung seines Grames.

Kingscourt war freilich ein prächtiger Mensch, gutmütig bei aller seiner Prahlerei mit Menschenhaß, und liebenswürdig und zartfühlend. Wenn er Friedrich in trüben Stimmungen sah, bemühte er sich mit allen möglichen Scherzen, ihn aufzumuntern. Er ging mit ihm um, wie mit einein kranken Kinde. Da pflegte Friedrich wohl zu sagen: "Wenn unsere Schiffsleute uns beobachten, müssen sie eigentlich eine ganz falsche Vorstellung bekommen. Sie werden mich für den Herrn, und Sie für den Gast halten, den ich mir eingeladen habe, um mir die Zeit zu vertreiben. Ach, Mr. Kingscourt, Sie hatten sich auch einen lustigeren Gesellen aussuchen können als mich!"

"Mein Lieber, ich hatte keine Wahl!" antwortete Mr. Kingscourt mit grimmigem Ernst. "Einen Lebensüberdrüssigen mußte ich haben, und die sind in der Regel keine guten Gesellschafter. Aber Sie werd' ich schon noch heilen. Sie werden mir doch noch ganz anders dreinschauen, bis wir erst das Menschengesindel ganz hinter uns haben. Da werden Sie auch noch so ein vergnügter Kerl werden, wie ich. Bis wir auf unserer seligen Insel sind, hol' mich der Deibel, wenn's nicht wahr ist!"

Die Jacht war sehr behaglich mit allem amerikanischen Komfort eingerichtet. Friedrich hatte einen ebenso schönen Schlafsalon, wie Kingscourt selbst. Der gemeinschaftliche Speiseraum war mit einer wahren Pracht ausgestaltet, und wenn sie abends nach dem Essen unter dem freundlich stetigen Lichte der elektrischen Deckenlampe beisammen saßen, verflogen die Stunden unter den besten Gesprächen. Es war auch eine gewählte kleine Bibliothek an Bord, aber zum Lesen kam man gar nicht, so abwechslungsreich vergingen die Meerestage. Kingscourt war immer beflissen, seinen Gefährten zu zerstreuen. Man hatte bei lebhafterem Wogengange die Insel Kreta passiert, da rückte er plötzlich mit einem Vorschlag heraus: "Sagen Sie 'mal, Doktor, hätten Sie denn keine Lust, noch Ihr Vaterland zu sehen, bevor wir von der Welt Abschied nehmen?"

"Mein Vaterland?" staunte Friedrich. "Sie wollten noch einmal nach Triest zurückkehren?"

"Ih bewahre!" schrie Kingscourt. "Ihr Vaterland liegt ja vor uns, Palästina!"

"Ach, so ist das gemeint? Sie irren sich. Zu Palästina habe ich keinerlei Beziehung. Ich war nie dort. Es interessiert mich nicht. Meine Vorväter sind seit achtzehnhundert Jahren weg. Was habe ich da zu suchen? Ich glaube, nur die Antisemiten können behaupten, daß Palästina unser Vaterland sei..."

Aber während er dies sagte, fiel ihm David Littwak ein. Da fügte er hinzu: "Außer von Antisemiten habe ich es nur noch von einem kleinen Judenjungen sagen hören, daß Palästina unser Land wäre. Wollten Sie mich damit necken, Mr. Kingscourt?"

"Da soll doch gleich ein Donnerwetter reinschlagen, wenn ich Sie geuzt habe. Das hab' ich ganz ernst gemeint. Wahrhaftig, ich verstehe euch Juden nicht. Ich wär' auf so etwas furchtbar stolz, wenn ich ein Jude wäre. Und ihr schämt euch wohl gar dessen. Da könnt ihr euch nicht wundem, wenn man euch verachtet — die Anwesenden natürlich ausgeschlossen."

"Herr von Königshoff, sind Sie vielleicht ein Antisemit?" sagte Friedrich empört. Zum erstenmal redete er ihn mit seinem deutschen Namen an, er wußte selbst nicht warum.

Kingscourt lächelte: "Nu regen Sie sich auf, mein Sohn! Daß ich 'n allgemeiner Menschenfeind bin, das war Ihnen sozusagen schnuppe. Daß ich aber unter andern auch die Jüdischen nicht mag, das nehmen Sie mir geschwind übel. Trösten Sie sich. Doktorchen, ich hasse die Juden nicht mehr und nicht weniger als die Christen, Mohammedaner und Feueranbeter. Alle zusammen keinen Schuß Pulver wert. Ich verstehe den guten ollen Nero: ein einziger Hals, und dann mitten durch mit einem Hieb. Oder nein: noch schöner ist es, daß die Lumpenbande leben bleibt, und daß sie sich langsam gegenseitig zu Tode ärgern."

Friedrich war schon versöhnt: "Ich war dumm. Daß Sie mich mitnahmen, war doch der beste Beweis."

Kingscourt sagte: "Da fällt mir 'ne Sache ein, die ich einmal mit einem Ihrer Landsleute oder Glaubensbrüder oder — hol' mich der Deibel — kurz mit einem Juden hatte. Es war im Re'ment. Wir hatten da so 'nen Freiwilligen — Cohn hieß die Kreete, ein jemein... Entschuldigen Sie! Dieser Cohn war 'n ganz verflucht krummbeiniges Subjekt — wie für die Kavallerie geschaffen. Es war einmal in der Reitstunde. Ich ließ die Schweinehunde Barriere springen. Das heißt, ich wollte; sie wollten nicht oder konnten nicht. War auch 'n bißchen hoch. Na, ich habe sie traktiert, wie's sich für solche gottverlassene Schweinebande geziemt. Damals konnte ich noch fluchen, hol' mich der Deibel! Seitdem hab' ich's verlernt... Ich gab ihnen zu verstehen, so durch die Kavall'rieblume, daß ich sie für das zitterlichste Lumpenpack hielte. Und den Cohn holte ich mir besonders. »Sie sind wohl ein besserer Wechselreiter?' höhnte ich ihn. Da schoß dem Juden das Blut ins Gesicht, und er ritt an. Stürzte aber und brach sich den Arm. Das hat mich dann eine Weile gewurmt. Wozu hat so 'n Aas auch Ehrgefühl?"

"Sie meinen, ein Jude sollte kein Ehrgefühl haben?" "Nee, so was! Sie verdrehen mir ja das Wort im Mutterleibe... Übrigens, wenn die Juden Ehrgefühl haben, warum lassen sie sich alle die Bübereien gefallen?"

"Was sollten die Juden tun, Mr. Kingscourt?"

"Was? Ja, das weiß ich nicht. Irgendwas, wie mein Cohn in der Reitschule, ich habe doch mehr Respekt vor ihm bekommen."

"Weil er sich den Arm gebrochen hat?"

"Nein, weil er mir seinen Willen gezeigt hat... Ich, wenn ich an eurer Stelle wäre, ich würde irgendwas Mutiges, Großes unternehmen, daß auch die Feinde vor Staunen die Mäuler aufreißen müßten. Vorurteile, mein Lieber, wird's immer geben. Das Menschenpack nährt sich von Vorurteilen, von der Wiege bis zum Grabe. Also, da man die Vorurteile nicht abschaffen kann, muß man sie für sich erobern... Je mehr ich darüber nachdenke: es müßte ganz interessant sein, heutzutage ein Jude zu sein. Gerade weil man alle Welt gegen sich hat."

"Ach, Sie wissen nicht, wie das schmeckt."
"Nicht süß, das kann ich mir schon denken... Na, und wie ist's mit dem ollen Palästina? Wollen wir uns das noch begucken, bevor wir aus der Menschheit verschwinden?"
"Mir ist alles recht, Mr. Kingscourt"
Und so bekam die Jacht den Kurs nach Jaffa.

Fortsetzung >> Kapitel VI

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